Kontrolle ist besser als Reue

Alles unter Kontrolle? - das neue Buch von Dieter Brandes.

Von Nina Hesse

Wieso läuft in großen Unternehmen eigentlich so viel schief? Haben Konzerne nicht ein ganzes Heer von Controllern, die sofort Schaum vor dem Mund bekommen, wenn irgendwo Zahlen nicht stimmen? Kontrollieren will eben gelernt sein, sagt Dieter Brandes, der tapfere Prophet der Einfachheit. Viele Unternehmen pendeln zwischen blindem Vertrauen und Big-Brother-Imitation hin und her, ohne das rechte Maß zu finden. Und verheddern sich durch "Risk Management" und andere angesagte Methoden in Scheinsicherheiten.

Im ersten Moment ist man enttäuscht. Dieter Brandes, ein sympathischer Mann, ehemaliger ALDI-Manager, der in seinen Büchern bislang durch gesunden Menschenverstand aufgefallen ist - dieser Herr Brandes also mit einem solchen Thema? Ist das jetzt ein konservativer Backlash? Kontrolle, das klingt nach autoritären Befehlsstrukturen, nach Obrigkeit und Bespitzelung. Doch schnell macht Brandes, der sich immer für Einfachheit und Klarheit eingesetzt hat, klar, dass er keineswegs zurück möchte zum Mitarbeiter als entmündigten Erfüllungsgehilfen, den man möglichst an der Kandare hält. Er lehnt jede Kontrolle ab, die nicht auf Vertrauen basiert. Und schafft das Kunststück, im Laufe seines Buches auch den Leser davon zu überzeugen, dass Kontrolle und Vertrauen keineswegs ein Widerspruch sind.

Ohne Kontrolle kein Vertrauen.


Blind zu vertrauen ist naiv, keine Frage. Unsinnige Projekte, die letztlich scheitern, und ärgerliche Verschwendungen finden sich nicht nur in Staat und Politik, sondern in jedem Unternehmen, wenn man sich genauer hinzuschauen traut. Manchmal ist eine Firma nach zu wenig Kontrolle sogar mausetot. Nick Leeson und die einstige Barings Bank lassen grüßen. Und bei Flowtex und Dutzenden von anderen Wirtschaftsskandalen haben sich sämtliche Aufsichtsorgane blamiert. Jedenfalls hat angeblich keiner was gemerkt, bevor es zu spät war. "Nach dem Scheitern kommt die Erkenntnis auf, dass man sich zu wenig gekümmert hat, sich nicht interessiert hat, nicht kontrolliert hat", so Brandes. Er plädiert in Unternehmen für klare Freiheitsgrade im Handeln und eine effiziente Kontrollkultur, um Risiken zu minimieren. Kontrolle sichert also Vertrauen ab.
Allerdings nur, wenn sie richtig angewandt wird. "Ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen Dingen des Lebens und gegenüber allen Menschen erhöht die Komplexität ins Unermessliche und macht Organisationen ineffizient und letztlich sogar entscheidungs- und handlungsunfähig", ist Brandes überzeugt. "Nur angemessene Kontrollen können Misstrauen sinnvoll bearbeiten und Vertrauen aufbauen." Aber was ist angemessen? Permanente Kontrollsysteme jedenfalls nicht. Keine Frage: Big Brother ist out. Totale Kontrolle ist genauso schlecht wie gar keine Kontrolle. Praktischer sind Überprüfungen in Form von Stichproben - sie verursachen keinen großen Aufwand, und durch sie spürt man Fehlentwicklungen rechtzeitig auf. In Unternehmen, die ein solches System nicht haben, passiert, so Brandes, immer wieder das Gleiche: Irgendwann macht es peng. Überreaktion! Ganze Abteilungen werden eingerichtet, um die Telefonkosten der Mitarbeiter zu analysieren und zu überwachen. Oder Beispiel Supermarkt: Statt nach den wahren Ursachen zu forschen, warum die Mitarbeiter nicht nur einmal, sondern mehrmals Fleisch im Supermarkt umetikettiert haben, wird eine Armada von Testkäufern losgeschickt und die "Schuldigen" können sich schon mal auf dem Arbeitsamt melden.

Scheinsicherheiten überall.


Aber woran liegt es, dass viele Unternehmen zwischen den ungesunden Extremen "zu viel Kontrolle" und "zu wenig Kontrolle" hin und her pendeln? Erstens, so Brandes, daran, dass so mancher Manager Hemmungen davor hat, seine Mitarbeiter zu kritisieren - vor allem, wenn er argwöhnt, dass besagte Mitarbeiter ihn fachlich unter den Tisch diskutieren könnten. Zweitens ist Kontrolle schlicht und ergreifend mühsam und macht Arbeit. Drittens sieht es mit dem Know-how, wie man überhaupt effektiv kontrolliert, bislang nicht so toll aus. Viertens, so möchte man als Leser hinzufügen, klingt Kontrolle einfach uncool. Mag sinnvoll sein, passt aber nicht in den Zeitgeist.
Hart geht Brandes mit den bisherigen Kontrollmethoden ins Gericht. Risk Management? Führt zu Scheinsicherheiten. Man denkt, man hat alles im Griff - bis einen die Wirklichkeit umhaut. ISO und Basel II? Bringen vor allem mehr Bürokratie, der Nutzen ist zweifelhaft. Aufwendiges Controlling und Reporting? Durch Massen von Zahlen bekommt man das Gefühl, man sei gut informiert. Bis um einen herum alles zerbröckelt. Formale Regelungen wie eine zweite Unterschrift? Bringen auch keine Gewissheit. Die beste Lösung ist und bleibt für Brandes: konkrete Kontrollen am konkreten Sachverhalt. Will heißen: hingehen und vor Ort selbst nachschauen, ob und wie es läuft.
Kontrolle ist für ihn eine Kernaufgabe guter Führung. Das heißt: Klare Ziele vorgeben, den Mitarbeitern Verantwortung geben, ihnen aber auch klar machen, dass sie für das, was sie tun, geradestehen müssen. Kontrolle kann, so argumentiert er, sogar motivierend wirken - denn wenn der Vorgesetzte nie nach den Mitarbeitern schaut, merkt er auch nicht, wenn sie gute Leistungen bringen. Ein Chef, der den Mitarbeitern zeigt, dass er sich für ihre Arbeit interessiert und sie wichtig nimmt, macht sich sicher nicht unbeliebt.

Vom Rat zur Tat.


Sehr nützlich sind Brandes' Umsetzungshilfen, die ein anschauliches Bild von den vielen ungeschriebenen Gesetzen und der komplexen sozialen Ordnung in einem Unternehmen vermitteln. Wer darf wen befragen oder kontrollieren, ohne dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt? Wer muss vorher informiert werden? Wer bekommt den Bericht? Auch Tipps, wie man Kritik übt, und Kataloge von Kontrollpunkten für verschiedene Funktionen im Unternehmen finden sich hier. Einzig die praktischen Beispiele von Kontrolle am Schluss sind nicht sehr anschaulich und arg ALDI-lastig geraten. Statt lange, trockene, aber echte Fälle abzudrucken, hätte er sich besser ein paar fiktive Beispiele aus verschiedenen Branchen einfallen lassen.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Dieter Brandes:
Alles unter Kontrolle?
Die Wiederentdeckung einer Führungsmethode,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
189 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37565-6
www.campus.de

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Zum Buch

: Alles unter Kontrolle? . Die Wiederentdeckung einer Führungsmethode.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 189 Seiten, ISBN 3-593-37565-6

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