Design your Job
Living at Work-Serie | Folge 27 | - Sylvia Englert über das Leben und Arbeiten nach Maß.
Die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze schrumpft, starre Arbeitszeitregelungen sind auf dem Rückzug und Hierarchien wandeln sich zu Netzwerken. Bestens, sagt Sylvia Englert, endlich hat man die Möglichkeit, sein Arbeitsleben neu zu organisieren und den Job seine Bedürfnisse zuzuschneiden. Besonders in den Nischen gibt es noch viel Platz für aktive Selbstverwirklicher.
Früher war die Sache klar: Man bewarb sich, und wenn man genommen wurde, verbrachte man den Rest seines Arbeitslebens bei dieser Firma. Dass es damit vorbei ist, ist ein Stressfaktor, aber auch eine Chance. Flexibilität wird heute nicht nur von Mitarbeitern gefordert, sondern auch von Unternehmen. Heute haben Mitarbeiter sehr viel mehr Entscheidungsfreiheit als früher. Das machen sich viele jedoch nicht klar und übernehmen statt dessen einfach die Vorgaben der Firma. Dabei besitzt man in den Punkten: "Wie? Wann? Wo?" heute viel mehr Gestaltungsfreiraum und Mitbestimmungsmöglichkeiten, als man gemeinhin denkt. Kurz: Sie müssen nicht im Büro sitzen. Sie brauchen nicht von neun bis fünf arbeiten oder jeden Tag in die Firma zu fahren. Sie müssen nicht ein Leben lang denselben Beruf ausüben. Und Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Ihnen ein Arbeitgeber "Arbeit gibt". Nehmen Sie sich die Freiheit, Ihren Job maßzuschneidern. Das eigene Wohlbefinden im Job ist enorm wichtig und selbst in diesen schwierigen Zeiten ist der individuelle Zuschnitt des Arbeitsplatzes nicht unrealistisch.
Bedürfnisse formulieren, Prioritäten festzulegen.
Auf dem Weg zu seinem Jobmodell
sollte man zunächst definieren, was man selbst braucht, was einem
gut tut. Zum Beispiel: Welche Bedürfnisse habe ich, was die
Arbeitszeit angeht? Möchte ich mehr Zeit haben für ein bestimmtes
Hobby? Oder will ich lieber abends arbeiten statt tagsüber, weil
ich eher ein Nachtmensch bin? Will ich gerne an ein paar Tagen
daheim arbeiten, weil dort weniger Stress herrscht oder ich ein
Kind zu betreuen habe? Finden Sie heraus, welche
Unternehmenskultur Ihnen liegt, ob Sie ein Teamplayer sind oder
nicht, ob Sie eher Generalist oder Spezialist sind. Auch die
Arbeitsform selbst ist variabel: Wer Abwechslung mag, für den ist
vielleicht Zeitarbeit oder Interimsmanagement etwas. Solche
flexiblen Formen dienen inzwischen nicht mehr nur zur
Überbrückung. Sogar, welchen Führungsstil man braucht, kann man
in seine Überlegungen einbeziehen. Ich richte mich da nach dem
Raster von Daniel Goleman, der zwischen folgenden Führungsstilen
unterscheidet: visionär, coachend, gefühlsorientiert,
demokratisch, fordernd und befehlend. Es gibt Menschen, die den
berühmten Tritt in den Hintern brauchen, damit sie ihre Deadline
schaffen und Leistung bringen - also sollten sie sich einen Chef
suchen, der nach dieser Art führt. Andere legen Wert auf ein
Umfeld, in dem demokratisch oder coachend geführt wird.
Dann fängt der schwierige Teil an, denn man muss das Modell
umsetzen. Auf einem Silberteller wird es einem nicht präsentiert.
Man muss dafür kämpfen und sich im Unternehmen dafür einsetzen,
dass man sein Modell bekommt und das Unternehmen einem zugesteht,
dass man beispielsweise an speziellen Programmen teilnehmen darf.
Dafür muss man verhandeln und beim Chef und bei der
Personalabteilung dafür werben. Es lohnt sich!
Abschied vom "Entweder-Oder"-Denken.
Das Wichtige an jedem Jobmodell: Es
ist nicht statisch. Wir leben in einer sehr flexiblen Welt und
verändern uns auch selbst so schnell, dass jedes Modell
wahrscheinlich nur ein paar Jahre Bestand hat. Dann ändern sich
Lebenssituationen oder auch Familienkonstellationen, das heißt,
alle paar Jahre muss dieses Modell neu definiert werden. Dazu
gehört, sich wieder Klarheit über seine Bedürfnisse zu
verschaffen, zu entscheiden, was jetzt angemessen ist und es dann
entsprechend umsetzen. Es ist wichtig, immer wieder neu zu
überlegen, denn es gilt nicht "einmal für immer", sondern man
muss auch offen sein für neue Impulse.
Natürlich lehnt sich dieses Buch ans Konzept der Ich-AG an.
An den Gedanken, sich selbst als Marke zu sehen und aufzubauen.
Man entwirft sein ganz individuelles Geschäftsmodell und legt
gleichzeitig fest, wie man leben und arbeiten möchte. Das
Know-how dafür muss man sich Schritt für Schritt aneignen.
Manchen fällt es zu Anfang beispielsweise nicht leicht,
selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten oder sich von
bestimmten Schuldgefühlen zu befreien, beispielsweise von dem
Denken: "Ich muss jetzt an meinem Platz sein, damit es so
aussieht, als würde ich arbeiten!" Das sind Zwänge, die man aus
der Vergangenheit mitgenommen hat, und aus denen man Schritt für
Schritt herausfinden muss. Dann kann man seine ganze Entwicklung
selbst in die Hand nehmen. Wenn man dieses Umdenken einmal
geschafft hat, dann ist der Rest nicht mehr so schwer.
Gewöhnungssache ist auch, das "Entweder-oder"-Denken zu
überwinden und zu erkennen, dass ein "Sowohl-als-auch" ebenfalls
möglich ist. Zum Beispiel ist es nicht nötig, sich den Kopf
darüber zu zergrübeln, ob man lieber in einer Festanstellung
bleibt oder die Freiberuflichkeit wagt. Man kann auch beides
haben, wie ich zur Zeit ausprobiere: Halbtags arbeite ich als
Redakteurin bei changeX, die restliche Zeit schreibe ich Bücher,
halte Vorträge und Workshops. Für mich ist dies ein Modell, das
meine Bedürfnisse am besten abdeckt, mit dem ich mich am wohlsten
fühle. Dadurch kann ich mir meine Zeit freier einteilen und nach
meinem eigenen Lebensrhythmus arbeiten.
Neuer Beruf gefällig?
Zum Jobmodell gehört auch, dass man
sich grundsätzlich überlegt: "Bin ich noch mit meinem Beruf
zufrieden oder möchte ich vielleicht lieber etwas anderes
machen?" Früher war es unrealistisch, dass man sich nach ein paar
Jahren noch einmal umorientieren konnte, und so etwas wirkte
negativ im Lebenslauf. Zum Glück hat sich das geändert.
Statistisch gesehen ist es schon jetzt so, dass nach fünf Jahren
nur noch ein Drittel der Beschäftigten in ihrem erlernten Beruf
arbeitet. Man muss in einen Berufswechsel sehr viel Energie,
Arbeit und Zeit investieren, doch es kann klappen, wenn man sich
gezielt überlegt, wo genau man hin will und wie man sich in
diesem Bereich Kontakte aufbauen kann.
Es ist schwer, loszulassen, und das, was man bisher schon
hat, aufzugeben und noch mal ins Unbekannte aufzubrechen.
Ausschlaggebend ist meiner Erfahrung nach immer die Begeisterung
für das, was man tun möchte. Einer meiner Freunde hat zum
Beispiel eine kaufmännische Ausbildung gemacht und dann in diesem
Bereich gearbeitet. In seiner Freizeit war er sportlich sehr
aktiv und reiste gerne, war oft zum Trekking im Himalaya oder auf
einer Radtour durch Neuseeland. Irgendwann ist er auf die
pfiffige Idee gekommen, er könnte das mit der Tatsache
kombinieren, dass er gerne mit Kindern und Jugendlichen zu tun
hat. Schließlich hat er sich entschieden, auf die Erzieherschule
zu gehen und als Erlebnispädagoge das sportliche mit dem
pädagogischen Element zu verknüpfen. Er schöpft die Kraft für
seinen Wechsel daraus, dass er diese Vision sehr attraktiv
findet. Auch wenn er jetzt erst mal finanziell gesehen auf
manches verzichten muss, so fand er doch die Vorstellung, noch 20
Jahre in einem kaufmännischen Beruf zu arbeiten, so abstoßend,
dass er es wirklich geschafft hat. Natürlich ist es ganz wichtig,
dass man die Unterstützung von seinem sozialen Netz hat. Wenn
Partner und Freunde nicht mitziehen, dann wird es schwierig, denn
die Unterstützung, die man vom Staat bekommt, ist minimal.
Während des Booms gab es zum Beispiel in der IT-Branche
extrem viele Quereinsteiger - so mancher hat damals sein Hobby
zum Beruf gemacht - und die Unternehmen haben gute Erfahrungen
mit ihnen gemacht. Das hat geholfen, deren Image zu verbessern.
Außerdem gibt es inzwischen so viele Berufswechsler, dass die
Personalchefs nicht mehr aufschreien, wenn sie eine solche
Entwicklung im Lebenslauf sehen. Trotzdem ist man speziell in
Deutschland noch sehr auf Abschlüsse und Zertifikate fixiert.
Deshalb finde ich die Initiativen des Bundes sehr positiv, die
Quereinsteigern die Möglichkeit bieten, sich während des Jobs
nachzuqualifizieren und einen offiziellen Abschluss zu erwerben.
Das nennt sich "APO-IT" und ist eine wirklich tolle Sache. Man
hat erkannt, dass Quereinsteiger einen gleichwertigen Abschluss
brauchen, damit sie konkurrenzfähig bleiben, auch wenn junge
Absolventen nachdrängen.
Die Freiheit schätzen lernen.
Sich selbst so ein Jobmodell zu entwickeln, mit seinen Kräften hauszuhalten und eigenverantwortlich zu agieren ist vielen noch fremd. Sie klammern sich an geregelte Arbeitszeiten, Bequemlichkeit, Geborgenheit und (vermeintliche) Sicherheit. Sich von diesen Gewohnheiten zu lösen braucht seine Zeit. Nach und nach lernt man durch "Learning by doing", diese Freiheit zu schätzen und mit weniger Sicherheit auszukommen. Man muss nur erst mal über diese Schwelle hinweg, ob freiwillig oder unfreiwillig. Dann stellt man fest, dass es nur halb so schlimm ist, wie man gedacht hat.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Sylvia Englert ist Journalistin und arbeitet als
Redakteurin bei changeX. Sie hat mehrere Bücher zum Thema Beruf
und Bildung veröffentlicht, unter anderem
Das ist mein Job. Selbständigkeit oder Festanstellung,
Zeitarbeit oder Teilzeit - So finden Sie Ihr persönliches
Jobmodell (Econ 2003).
www.sylvia-englert.de
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX [09.07.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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