Raus aus dem Tief
Living at Work-Serie | Folge 18 | - Jörg Middendorf über Coaching für Manager.
Von Managern wird immer mehr verlangt. Experten und Kommunikationsvirtuosen sollen sie sein, dazu noch sensible Kundenbetreuer und Verkaufsgenies. Die Folge vielerorts: Überforderung und Stress. Coaches können Führungskräften Denkanstöße geben, ihnen helfen, gemeinsam neue Wege zu erarbeiten. Immer nach dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe".
"Coaching" ist in aller Munde, alles und jeder scheint mittlerweile gecoacht werden zu müssen. Diese Welle kam in den 90er Jahren aus den USA zu uns, noch vor dem Aufstieg der New Economy. Man hatte gemerkt, dass die allgemeinen Bildungsangebote in den Unternehmen, die standardisierten Führungskräfteseminare und Weiterbildungen, nicht den erhofften Erfolg brachten. Es wurde deutlich: Gerade die Topleute brauchten mehr individuelle Lernangebote. Seitdem boomen computergestütztes Lernen und Coaching. Das ist viel mehr als eine Modewelle. Die Aufgaben in den Unternehmen werden immer komplexer, gerade für die Führungskräfte. Sie müssen Fachexperte und Mediator sein, sie müssen emotionale Intelligenz mitbringen und sich selbst coachen. Ein Chemiker, der eine Laborleitung übernimmt, muss plötzlich auch Betriebswirt und Psychologe, Kommunikationsvirtuose und Verhandlungsprofi sein. Das kann nicht gehen. Dabei braucht er Unterstützung.
Was macht eigentlich ein Coach?
Man unterscheidet zwischen Trainer
und Coach. Aufgabe eines Trainers ist es, einer Gruppe Wissen zu
vermitteln. Was ist Konfliktmanagement, worauf kommt es bei
Rhetorik an, wie präsentiere ich richtig? Ein Coach dagegen ist
ein individueller Berater, der gemeinsam mit dem Coachee - wir
verwenden in der Branche den amerikanischen Begriff so wie bei
Trainee - ein neues Licht auf seine ganz spezifische
Problemsituation wirft. Dabei kann es sich um eine
Berufswegentscheidung handeln oder um eine Problemkonstellation
am Arbeitsplatz, wie Schwierigkeiten mit der Führungsrolle oder
Kommunikationsprobleme.
Ziel ist es, gemeinsam einen Weg raus aus der Situation zu
definieren. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: Wie kann diese
Person ihre berufliche Rolle bewältigen? Die Arbeit beschränkt
sich nicht auf den beruflichen Kontext, sondern schließt immer
den ganzen Menschen, seine Fähigkeiten und sein Umfeld ein. Die
Betrachtung dieser Systeme, in denen sich der Coachee befindet,
ist immens wichtig. Ein Beispiel: Welche Auswirkungen hat es,
wenn im Coaching ein Lösungsansatz erarbeitet wird, der auf eine
Kündigung des Coachees hinausläuft, seine Frau aber gerade mit
dem dritten Kind schwanger ist?
Der Coach ist niemand, der den Weg bestimmt. Es geht um
eine partnerschaftliche Beratungsbeziehung zwischen Coach und
Coachee. Der Coach ist kein Sachexperte, sondern ein fachfremder
Berater, der neue Denkanstöße gibt und auf das nicht
ausgeschöpfte Potenzial seines Kunden zurückgreift. Er hilft,
Dinge auf den Punkt zu bringen, Ziele bewusst zu machen und neue
Lösungswege zu finden. Während ein Trainer in einem
Gruppenseminar in solchen Fällen soziale Fertigkeiten trainieren
würde, schaut sich ein Coach erst einmal die individuelle Lage
an: In welchen Situationen tauchen Probleme mit den Kollegen auf?
Wo kommen sie her? Welches Verhältnis hat der Coachee generell zu
anderen Menschen? Welche Werte hat er verinnerlicht? Wenn dabei
herauskommt, dass sich der Manager zu den Mitarbeitern sozial
verhält, zu den Kollegen auf der gleichen Ebene aber nicht, muss
man weiterforschen. Welches Bild von Mitarbeitern und Kollegen
steht dahinter? Welche Werte sind in seinem Beruf für ihn
wichtig?
Ich hatte einmal einen Fall, da zeigte sich, dass der
Coachee unbewusst das Gefühl hatte, die anderen Führungskräfte
können für sich selbst sorgen, die Mitarbeiter nicht. Bei der
Frage nach den Werten kamen die Kollegen auf derselben
Hierarchieebene und Partner überhaupt nicht vor. Sie waren
einfach ausgeblendet. Wenn einem solche Dinge erst einmal klar
werden, dann kommt ein wichtiger Prozess in Gang. Plötzlich
achten Sie darauf, wo mache ich das, wo nicht? Und Sie fangen an,
gegenzusteuern.
Viele sind überrascht, wenn ich betone, dass der Coach kein
Sachexperte sein sollte. "Feldkompetenz", wie wir das nennen,
kann sogar hinderlich sein. Die Erklärung dafür ist einfach: Die
Chance liegt gerade darin, dass der Coach eine ganz andere Welt
im Kopf hat als der Coachee. Ist er zu sehr Fachmann, geht er
weniger unvoreingenommen an das Problem heran. Wenn beide aus
demselben Fachbereich kommen, glauben sie schnell, sich wortlos
zu verstehen. Doch oft benutzt man dieselben Wörter, meint damit
aber anderes.
Ein ähnlicher Stallgeruch ist allerdings sinnvoll. Berät
der Coach einen Manager aus einem großen Industrieunternehmen,
sollte er mit dem Wirtschaftsumfeld vertraut sein. Ein Coach, der
keine Fachkenntnis auf dem Arbeitsgebiet seines Coachees hat,
muss wissen, wo er gegebenenfalls die Informationen bekommt, die
seinem Kunden helfen, zu fundierten Entscheidungen zu kommen.
Welche Personalberatungen kennen sich aus, wie entwickelt sich
die Branche et cetera?
Wie findet man den richtigen Coach?
So nützlich ein guter Coach ist -
beide Seiten müssen darauf achten, dass er nicht zum Dauerberater
in jeder schwierigen Lebenslage wird. Coaching versteht sich als
Hilfe zur Selbsthilfe. Und ist ein zielgerichteter Prozess.
Deshalb sollte ein Coaching in der Regel nicht mehr als etwa fünf
bis zehn Sitzungen umfassen.
80 Prozent unserer Kunden werden von ihren Unternehmen
geschickt, etwa 20 Prozent zahlen selbst. Obwohl Coaching
grundsätzlich für Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen sinnvoll
ist, zahlen die Firmen meist nur für Topmanager einen Coach. Denn
diese wichtigen Entscheider muss das Unternehmen bestmöglich
einsetzen. Es kann sich nicht leisten, dass eine teure
Führungskraft in einem beruflichen Tief durchhängt, und wird
deshalb einiges tun, um ihr da rauszuhelfen - oder auf einen
harmonischen Abschied hinzuarbeiten.
Bei den hohen Kosten eines Coachings erwarten Unternehmen
und Management einen nennenswerten Effekt. Doch wie misst man den
Erfolg eines Coachs? Sinnvoll sind zum einen anonyme Befragungen
bei den Mitarbeitern. Wie hat sich das Führungsverhalten des
Chefs verändert? Wie läuft jetzt die Zusammenarbeit? Zum anderen
sollte man mit dem Coachee gemeinsam überprüfen, ob man die
anfangs gesetzten Ziele gemeinsam erreicht hat. Letztlich hängt
der Erfolg eines Coachings aber auch von der Unternehmenskultur
ab. Es macht wenig Sinn, Führungskräfte aufwendig fit zu machen
und gleich darauf einen Merger durchzuführen, der alles erneut
auf den Kopf stellt.
Nehmen Sie sich Zeit, um Ihren Coach zu finden. Und schauen
Sie dabei nicht nur auf die Geldbörse. Mittlerweile werben
Anbieter sogar mit Online-Coaching, doch der Begriff ist
natürlich übertrieben. Beim Coaching von
Managementwissen online (www.mwonline.de) beispielsweise
können die Leute Fragen stellen, die von bis zu sechs
verschiedenen Coachs beantwortet werden. Das können durchaus
sinnvolle Denkanstöße sein, die den Blickwinkel verbreitern. Doch
das eigentliche Coaching würde erst danach losgehen. Anbieter
gibt es reichlich. Achten sollte man darauf, dass der Coach
psychologisch geschult ist und eine Beraterausbildung hat. Ein
kostenloses Erstgespräch, in dem er seine Strategie ausführlich
erläutert, ist selbstverständlich. Vorsicht, wenn das Geld dabei
im Vordergrund steht und nicht das partnerschaftliche
Beratungsverhältnis. Am besten bringt der Coach natürlich
Referenzen mit. Vor allem aber: Die Chemie muss stimmen. Das ist
Voraussetzung für ein erfolgreiches Coaching.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Jörg Middendorf ist Diplom-Psychologe, Supervisor und Organisationsentwickler. Er arbeitete in der Personalabteilung der Bayer AG und als interner Coach bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Anfang 2003 machte er sich als Coach und Organisationsberater selbstständig. Er ist Autor von Fit durch Coaching.
www.mwonline.de
www.personal-balance.de
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
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