Wandel beginnt im Kopf
Living at Work-Serie | Folge 16 | - Klaus Doppler über Change Management.
Wer im Unternehmen etwas verändern will, muss die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Mitarbeiter wecken. Denn Menschen sind im Prinzip neugierige Sucher. Das Problem: Dieses Engagement wird Mitarbeitern oft vorher ausgetrieben. Mit der Folge: Sie verharren und lassen alles beim Alten. Diese aktive Suchbewegung jedoch wieder freizuschaufeln ist die hohe Kunst des Managements.
Es gibt zwei Grundantriebe für
Menschen, sich zu wandeln. Der eine ist Attraktivität und Lust -
wenn man sich auf neues Gelände wagen will. Der andere ist Angst
- wenn Menschen erkennen, sie kommen auf dem Weg, auf dem sie
sich bewegen, wahrscheinlich nicht weiter. Meist greift eine
Kombination aus beiden Faktoren am besten. Je älter der Mensch,
desto mehr neigt er dazu, in die Vergangenheit zu schauen und
sein Leben als Verlängerung der Vergangenheit zu konzipieren.
Daher glaube ich, dass man ihm erst einmal einen kleinen Schock
versetzen muss, damit er diesen an der Vergangenheit orientierten
Weg verlässt. Aber nur mit Angst allein kann man nichts
verändern. Angst blockiert, da gehen die Menschen in Deckung und
sagen: "Hoffentlich erwischt es mich nicht."
Sehr viel besser funktioniert es, die Kreativität und
Innovationsfähigkeit der Mitarbeiter zu aktivieren. Menschen
neigen prinzipiell auch zum neugierigen Suchen - nur wird ihnen
das irgendwann ausgetrieben. Dann suchen sie nicht mehr, sie
glauben, alles zu wissen. Diese Suchbewegung wieder
freizuschaufeln ist die hohe Kunst des Managements.
Zum Beispiel kann man Zukunfts- und Innovationsworkshops
machen und das Motto ausgeben: "Lasst uns mal überlegen, welche
zukünftigen Möglichkeiten wir haben. Was lässt sich mit dem, was
wir können, noch anderes anbieten und bewirken? Wie können wir
neue Märkte erschließen?" Generelles Ziel: Das Unternehmen für
neue Ideen öffnen. Bevor die Öffnung zu Neuem möglich wird, muss
man aber Menschen erst mal aus ihrer Routine herausbringen. Man
muss sie irritieren, dass sie nicht davon ausgehen, es ginge
alles weiter wie bisher.
Im Moment stecken wir mitten in einer politischen Liveshow,
die zeigt, wie so etwas gesellschaftlich ablaufen kann. Das
Aufrütteln der Deutschen ist mehr oder weniger gelungen, so
langsam ahnt jeder, dass wir nicht einfach so weitermachen
können. Aber bei der Innovation hört es schon wieder auf. Wir
blicken auf die Rezepte von vorgestern. Und bei den wirklich
innovativen Dingen heißt es dann: "Geht nicht, es würde zu viel
verändern."
Veränderungen als Dauerzustand aushalten.
Die Frage ist, wie es Unternehmen
und Mitarbeitern gelingt, sich darauf einzustellen, dass
Veränderung ein Dauerzustand sein wird. Das zyklische Modell mit
kurzen Veränderungs- und langen Stabilitätsphasen entspricht zwar
unserer Sehnsucht nach Ruhe, Klarheit und Ordnung, aber es trifft
nicht mehr die Realitäten, in denen wir leben.
Es ist die große Frage, ob wir es schaffen können, uns
diesen Realitäten anzupassen. Der Mensch ist eigentlich
programmiert auf Kontinuität und Klarheit. Aber Stabilität ist
für mich kein Wert an sich. Und wenn man sich dann intensiv mit
Wandel auseinander setzt und mit dem neuen Umfeld konfrontiert,
wird es leichter, sich darauf einzustellen.
Mentale Modelle spielen bei solchen Prozessen eine große
Rolle. Denn sie betreffen innerlich verfestigte Glaubenssätze.
Sie bestimmen die Art und Weise, wie wir die Realität wahrnehmen,
und können unser Verhaltensrepertoire drastisch begrenzen. Viele
Manager haben zum Beispiel das Leitbild im Kopf, dass
Organisation heißt, klare Zuständigkeiten zu haben. Wir brauchen
aber meiner Meinung nach durchgängige Prozessketten, bei denen
jeder zwei "Hüte" aufhat, den seines eigenen Bereichs und den des
gesamten Unternehmens. Das Modell mit den klaren Zuständigkeiten
passt nicht mehr dazu. Deshalb rate ich Menschen, die eine
Organisation verändern wollen, zunächst genau zu prüfen, welche
Modelle sie im Kopf haben und sich erst mal darüber zu
verständigen, bevor sie mit den Veränderungen anfangen.
Das richtige mentale Modell im Kopf zu haben ist gut, aber
das heißt noch lange nicht, dass man sich sofort umstellen kann.
Viele Firmen sind derzeit zum Beispiel dabei, Leitbilder zu
formulieren - auf dem Papier wunderschön. Aber es ist höchstens
ein Zehntel der Miete, dass man sich theoretisch verständigt,
wohin man will. Zumal in der Belegschaft und im Führungskreis
häufig sehr unterschiedliche Vorstellungen zu finden sind, über
die man sich erst einmal austauschen muss.
Vision: der durchgängig flexible Mitarbeiter.
Mein wichtigster Tipp für
Führungskräfte ist: "Verändere deinen Nächsten wie dich selbst."
Wer von anderen verlangt, dass sie sich verändern sollen, und
selbst keine Anstalten macht, es auch zu tun, hat ein
Glaubwürdigkeitsproblem. Die Mitarbeiter werden sich zu Recht
fragen, wieso sie sich ändern sollen, während die oben nichts
tun.
Um sinnvolle Veränderungen angehen zu können, muss man auch
ein realistisches Bild der Mitarbeiter haben. In der Praxis sieht
das oft anders aus: Jeder bastelt sich seine Realität zurecht und
das Ergebnis hängt davon ab, welche Informationen er überhaupt
zulässt. Je nachdem, ob jemand sich in seiner Funktion und
Position einen offenen Zugang zu Kunden, Mitarbeitern und
Kollegen schafft beziehungsweise bewahrt, wird er die
Wirklichkeit anders wahrnehmen als jemand, der ausschließlich von
dem abhängt, was ihm geboten wird, und eventuell gar nicht merkt,
dass er wie am königlichen Hof von Hofschranzen umgeben ist, die
ihn von der Realität des normalen Volkes völlig abschotten und
ihm die Scheinwelt vorgaukeln, von der sie annehmen, dass sie ihm
gefällt. Ich wundere mich manchmal, wie naiv viele Manager in
dieser Hinsicht sind: Sie verhalten sich wie gut bezahlte Söldner
- nicht weniger, aber auch nicht mehr -, verlangen aber von unten
totale Loyalität, Flexibilität und Identifikation. Wenn für mich
der persönliche Nutzen das Maß aller Dinge ist, dann muss ich
diesen Maßstab auch anderen zugestehen. Ich bin für realistische
Konzepte, die den Nutzen für das Unternehmen und den Nutzen für
den Mitarbeiter miteinander verzahnen - sonst gibt es keine
tragfähige Basis.
Jeder Mitarbeiter muss selbst entscheiden, wie weit er
bereit ist, flexibel zu sein und sich immer wieder den
veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Denn das betrifft sein
Selbstverständnis, wie er ist und sein will, und seine
Vorstellungen darüber, was seine Persönlichkeit ausmacht. Jeder
steckt die Grenzen seiner Flexibilität ab. Deshalb werden wir
nicht umhinkommen, in einen echten Dialog zu treten, um
herauszufinden, wie weit jemand zu gehen bereit ist. Ist es aus
Sicht des Unternehmens nicht weit genug, setzt man sich mit ihm
auseinander - und weist ihn auch auf die Konsequenzen seiner
Entscheidung hin. Wir wissen jedoch, dass der Mensch nicht
einfach manipulierbar ist. Sonst könnten wir ihm Prozac zu essen
geben, damit er glücklich ist, und noch ein Aufbaumittel, damit
er funktioniert.
Gerade bei unternehmerisch denkenden Mitarbeitern, nach
denen so viele Vorgesetzte rufen, funktionieren Druck,
Manipulation und eine zu enge Führung am allerwenigsten. Sie
haben höhere Ansprüche. Ich kann mir als Vorgesetzter erlauben,
Ziele zu setzen, aber die Art und Weise, wie sie da hinkommen,
wollen unternehmerisch denkende Mitarbeiter selbst gestalten
können. Man kann ihnen nicht nach dem Motto kommen: "Sie können
hier alles tun, wenn Sie Folgendes berücksichtigen - erstens,
zweitens, drittens ..." Spätestens bei "drittens" kommt die
Gegenreaktion: "Dann mach doch dein Zeug allein."
Viele Unternehmensleitlinien, die das Hohe Lied vom
"Mitarbeiter als Unternehmer im Unternehmen" singen, sind pure
Makulatur, weil man den angeblich erwünschten, unternehmerisch
denkenden Mitarbeiter in Wirklichkeit nicht erträgt. Noch sind
die meisten Unternehmen so geführt, dass sie in erster Linie
angepasste, opportunistische Umsetzer fördern.
Die Tücken von Change-Projekten.
Selbst wenn man es geschafft hat,
im Unternehmen einen Wandel zu bewirken, ist noch nicht alles
gewonnen. Genauso wichtig ist, Rückfälle zu verhindern. Denn das
alte System, Verantwortung abzugeben, ist attraktiv, weil bequem.
Man muss also die Unternehmenswelt so nachhaltig verändern, dass
sie nicht ohne weiteres wieder umgedreht werden kann - sowohl im
Hinblick auf Prozesse, Strukturen als auch Personen. Ich erlebe
in diesem Zusammenhang immer wieder die hohe Bedeutung von
Schlüsselpersonen. Sie sind die Garanten und Bürgen für das neue
Modell. Sobald diese Personen ausgewechselt werden, ist das neu
Geschaffene in seinem Bestand gefährdet.
Man sollte Veränderungen überdies regelmäßig gegenchecken.
Denn die Umwelt der Unternehmen ist ja alles andere als stabil.
Ich habe immer wieder mit Unternehmen zu tun, die zu einem
bestimmten Zeitpunkt eine hervorragende Veränderung hinbekommen
haben - die aber nach drei bis fünf Jahren selbst wieder veraltet
war. Und gerade Manager, die gegen viel Widerstand mit hohem
persönlichem Engagement einen sehr tief greifenden Wandel
durchgezogen haben, tun sich oft schwer, das hart Erkämpfte
erneut radikal in Frage zu stellen. Ich weiß, dieser ständige
Wandel ist eine Zumutung, aber ich kenne keine andere Therapie.
Der gesellschaftliche Wandel verläuft nicht ganz so
schnell, da hält sich ein gutes Modell auch mal ein Jahrzehnt
oder auch länger. Unternehmen müssen hingegen alle zwei bis drei
Jahre grundsätzlich überlegen, ob ihre strategische Ausrichtung
noch stimmt, ob im Wettbewerb neue Faktoren aufgetreten sind, ob
nicht neue Erkenntnisse in der Technologie oder etwas anderes
Anlass gibt, die bisherige Positionierung und Vorgehensweise zu
verändern.
Doch selbst wenn man das tut, geht bei den anschließenden
Change Management-Projekten oft etwas schief. Zwei Fehlerquellen
sind häufig zu beobachten. Die eine: Man ändert zu schnell, ohne
sich genau überlegt zu haben, was das eigentliche Problem ist.
Nicht selten gerät das Management in eine operative
Change-Hektik, weil sich jemand ganz oben etwas in den Kopf
gesetzt hat und Veränderungen einfach verordnet.
Die zweite ist, dass man zu lange wartet, weil man ganz
genau wissen will, wo das Problem liegt. Dann hat man die Sache
zwar in allen Details und Verästelungen seziert, aber der Patient
ist längst tot. Deshalb plädiere ich dafür: Sobald einigermaßen
plausible Hypothesen verfügbar sind, woran es liegen könnte,
anfangen! Aber beobachten, was läuft und wie es läuft,
Reflexionsschleifen einbauen und aus dem Handeln lernen!
Nicht auf den Lorbeeren ausruhen!
Sobald eine Firma nach außen nur
berichtet, dass alles bestens ist, gehen bei mir die Warnlampen
an. Denn das heißt, dass ein Unternehmen nicht mehr so genau
hinsieht, sein Früherkennungssystem vernachlässigt. Wenn man
einiges erreicht hat, dann will man keine Kritik mehr hören. Das
ist gefährlich. Man wird lernresistent. Es ist schwer, nach oben
in die Spitzengruppe zu kommen, aber es ist viel, viel schwerer,
sich auch oben zu halten. Denn das schafft man nur, wenn man
laufend problematisiert und immer wieder grundsätzlich alles in
Frage stellt. Wer tut das schon gerne, wenn einem alle zujubeln.
Es ist kein Problem der Größe, wenn ein Unternehmen nicht
mehr lernfähig ist. Es ist eher eine Frage seiner Organisation.
Es gibt große Firmen, die eine sehr gute dezentrale
Steuerungsstruktur haben: oben die strategische Gesamtausrichtung
und unten sehr große lokale Freiräume. Unabdingbar dabei ist
allerdings ein lückenloses Controllingsystem, durch das man von
diesen lokalen Schauplätzen rechtzeitig Informationen bekommt
über Anzeichen von Krisen. Kleine Firmen sind per se nicht
flexibler, weil sehr viel von der Persönlichkeitsstruktur der
Führungskraft beziehungsweise des Inhabers abhängt. Neulich bei
einem Vortrag vor kleineren Mittelständlern habe ich ein paar
provozierende Thesen zum Thema Notwendigkeit von Veränderungen
vorgetragen. Prompt kam der Einwand: "Wissen Sie, wie alt wir
schon sind? Wir haben schon 300 Jahre auf dem Buckel - mit
unserem Produkt und unserer Strategie!"
Nun ja, dieses Jahr kann das letzte sein. Diese
"Wir-sind-unsterblich-Denke" ist oft der Anfang vom Ende.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Klaus Doppler, Berater und Autor, ist spezialisiert auf Wandel- und Veränderungsprozesse in Unternehmen. Sein Buch Change Management gilt als absolutes Standardwerk. Sein neues Buch heißt Der Change Manager. Sich selbst und andere verändern - und trotzdem bleiben, wer man ist.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [23.04.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 23.04.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.