Der Sieg der Vernunft

Think! - das neue Buch von Hermann Simon.

Von Nina Hesse

Wann haben Sie sich zum letzten Mal Zeit zum Nachdenken genommen? Na? Gut, in der Hektik des Alltagsgeschäfts ist das meist nicht drin. Aber lesen Sie wenigstens ein Buch, das zum kritischen Überdenken anregt. Zum Beispiel Think!, eine anregende Mischung aus gesundem Menschenverstand und Provokation.

Schwer beschäftigt hetzen die meisten Führungskräfte durch die Gegend. Krise hier, Meeting da, und die Zahlen müssen stimmen. Fürs Überlegen, Abwägen, Nachdenken bleibt oft zu wenig Zeit, weil eine Welle von Eindrücken und Informationen über einem zusammenschlägt. Hermann Simon hat den Anspruch, dieses Nachdenken wieder anzuregen. In seinem neuen Buch handelt er ein breites Spektrum von Themen ab, über Strategie, Führung, Change, Wertewandel, Innovation, Wissen und Kundenbindung bis hin zum aktuellen Zustand Deutschlands. Jedes Thema hinterfragt er kritisch, gibt Denkanstöße dazu oder erinnert an Grundlegendes. Gelungen ist ihm ein fundierter, bewusst subjektiver und zuweilen provokanter Überblick, der mit viel gesundem Menschenverstand wichtige Aspekte und aktuelle Probleme der Wirtschaft anspricht. Praktisch für erwähnte gestresste Manager: Think! ist ein Buch, das wohl kaum einer am Stück liest. Und das ist auch nicht nötig. Sich hier und da Kapitel herauszupicken und sich davon inspirieren zu lassen reicht völlig. Das entspricht einem von Simons ersten Ratschlägen: "Mehr denken ist gleichbedeutend mit weniger tagen, weniger reden, weniger telefonieren, weniger lesen, weniger sehen und fernsehen sowie weniger reisen."

Bodenständig und vernünftig.


Simons Ansichten sind bodenständig und vernünftig. Er spricht sich gegen Managementmoden aus (die im Moment ohnehin etwas aus der Mode gekommen sind), empfiehlt Bescheidenheit und mehr Kontinuität in der Führung. Als Strategie gegen schwindelnde Manager rät er, den Anfängen zu wehren und die Leitlinie "Wer lügt, der fliegt" einzuführen. Das setzt aber voraus, dass der Überbringer schlechter Nachrichten nicht gleich einen Kopf kürzer gemacht wird - denn oft ist es der gnadenlose Erfolgsdruck, der potemkinsche Dörfer und geschönte Zahlen entstehen lässt.
Die neuen, härteren Führungstypen, die er in den Chefetagen beobachtet, empfindet Simon als notwendig, um das ungeheuere Trägheitsmoment des Status quo zu brechen. Aber ein bisschen mehr Vision darf's schon sein: "Wie lässt sich auf Wachstum umschalten, wenn die Grundlagen dazu in den vergangenen Jahren nicht gelegt worden sind?" Und bei vielen Managern sieht er eine große Schwäche, nämlich mangelnde Geschäftsnähe und fehlender Bodenkontakt. Vieles sei zu stark theoretisiert und akademisiert. Dabei ergeben, so empfiehlt er, persönliche Eindrücke vor Ort ein fundierteres Bild als jede "Papierinformation".

Anregende Lektüre.


Simon ist ein scharfer Beobachter und guter Autor, der einen klaren, fast eleganten Stil schreibt, deswegen sind seine Einsichten eine anregende Lektüre. Er zieht Bilanz aus den Fusionserfahrungen der Vergangenheit (Fazit: Die Frage, ob die Unternehmenskulturen zusammenpassen, sollte in die Due Diligence mit einbezogen werden), dem Outsourcing-Trend (Fazit: Die meisten erfolgreichen Unternehmen haben eine ausgeprägte Vorliebe fürs Selbermachen, zumindest im Bereich ihrer Kernkompetenzen) und hoch gelobten Erfolgsbeispielen (meist sind genau diese Stars kurz darauf im freien Fall). Nur seine Ansichten zu Shareholdervalue wirken etwas befremdlich. Seine Hoffnung, dass hinter dem Shareholdervalue eine substanzielle Hinwendung des Managements zu echter, langfristiger Gewinnmaximierung steckt, ist angesichts der verbreiteten Quartalszahlen-Panik schwer nachzuvollziehen.
Und wieso schreibt Simon im Vorwort, dass er sich im Buch mit Ratschlägen und Patentrezepten zurückhält? Davon ist wenig zu spüren, er hat - was keineswegs schlecht ist - zu jedem Thema eine dezidierte Meinung und meist auch Vorschläge. Für die Bildungsmisere etwa folgenden: Deutsche Universitäten zum Beispiel sollten schnellstmöglich privatisiert werden, zukünftige Unterrichtssprache: Englisch. Dann könnten die Studenten fähige Akteure in "Transatlantica" werden. Dass sie im Moment zum Teil bis Anfang 30 im Bildungssystem verharren, sei jedenfalls eine Zumutung.

Hermann Simon:
Think!- Strategische Unternehmensführung statt Kurzfrist-Denke,
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
235 Seiten, 39.90 Euro,
ISBN 3-593-37435-8
www.campus.de

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

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