Kein Entrinnen
Living at Work-Serie | Folge 14 | - Michael Erlhoff über Design und Arbeit.
Wer glaubt, von Design nicht beeinflusst zu werden, der irrt. Wir sind von Design umgeben, und es beeinflusst gerade unsere Arbeit ganz erheblich. Drei spannende Denkanstöße.
1.
Gewiss: Design ist Arbeit. Denn Design bewegt und
strukturiert Objektwelten und Prozesse, Anschauungen,
Perspektiven und sinnliche Wahrnehmungen. Design ist sogar (was
man von Arbeit nur erhoffen kann) innovativ, eingreifend und
verknüpft sehr eigenartig Theorie und Praktik, bewegt sich also
inmitten des für jede Analyse und Ausführung so wichtigen
Zwischenraums von Denken und Handeln - man könnte gar diese
reflexive Spannung, von deren Funktionsweise wir bis heute nur
wenig begriffen haben, im Designprozess veranschaulichen.
Also: Design ist konkrete Arbeit.
2.
Nun ist aber für diese Publikation ein anderes Vermögen von
Design viel wichtiger: Design nämlich konturiert jegliche Arbeit.
Denn Arbeit bestimmt sich ja, sobald sie das Denken oder
psychische Dimensionen verlassen hat, immer im Rahmen irgendeiner
Vergegenständlichung. Sie gründet im Regelfall auf der Nutzung
von Werkzeugen (also von Gegenständen, die per Aktion als solche
definiert werden), um damit etwas zu verändern, eben
normalerweise Gegenstandsstrukturen.
Ganz einfach: Mit einem Hammer schlage ich zum Beispiel
Nägel ein oder verändere Blech, mit einer Maus steuere ich
Signale, auf einem Stuhl sitze ich, in ein Glas gieße ich Wein
und so weiter. Nur ist eben alles, was ich da als Werkzeug nutze
(ist auch der schreibende Kugelschreiber oder die Tastatur),
immer schon gestaltet, also designed; und mehr noch: Meist ist
ebenfalls das, was auf diesem Weg traktiert wird, schon gestaltet
- nicht der von der Axt geschlagene Baum (obwohl selbst dies oft
der Landschaftsgestaltung unterliegt), wohl aber Computer und
Software, das Schreibpapier, Nägel, Verkehrsschilder und alles
andere.
Das aber bedeutet, dass die Form von Arbeit stets schon
vorgeformt, eben konturiert ist durch (wie wir heute sagen)
Design. Im Rückschluss aber heißt das ganz vernünftig auch, dass
eigentlich jeglicher Arbeit zuerst ein Verständnis von Design
vorausgehen müsste, da sonst die eigene Arbeit ja durch die
Gestaltung aller Arbeitsmittel schon vorgeprägt ist.
Was zweifellos Folgen für Weg und Resultat von Arbeit
hat.
3.
Wem das schon zu viel ist: Es kommt noch dicker.
Selbst nämlich dann, wenn Arbeit vermeintlich
ungegenständlich erfolgt, (Denken, Verdrängen, Diskutieren,
Planen et cetera), findet sie unabdingbar im Rahmen von Design
statt. Denn Design formuliert ja die Bedingungen auch von dieser
Arbeitsform: Während ich denke, schweifen meine Augen herum und
beeindrucken sich durch Gegenstands- und Zeichenwelten, zudem
sitze ich auf einem Stuhl oder lehne an etwas oder laufe auf zum
Beispiel Schuhen über Asphalt. Alles designed. Oder: Diskussionen
finden in Räumen bei Licht an Tischen und meist auf Stühlen statt
- und so weiter.
Kein Entrinnen: Selbst avancierte Büromöbelunternehmen
verstehen sich längst als Dienstleistungsunternehmen, da sie doch
nicht Tische und Stühle oder so anbieten, vielmehr
Arbeitsmöglichkeiten. Denn die gestalteten Bedingungen formen
das, was in ihrem Rahmen an Arbeit geschieht.
Ganz einfach: Schlechte Sitzgelegenheiten können mürrische
Gespräche initiieren, umgefallene, meist schlecht gestaltete
Kaffeekannen haben womöglich manche Entscheidung unterbrochen und
verändert, langsame Stifte schreiben andere Texte als schnelle,
und die Konditionierung der Gedanken durch differente
Software-Qualität gehört derzeit zur schier allgemein
menschlichen Erfahrung.
Bedenken wir nur zusätzlich, dass längst auch die Töne (der
Mobile Phones, der Autos, Staubsauger, Tischoberflächen et
cetera) ebenso wie Haptik und gar Düfte und Geschmäcker gestaltet
sind: Dann wird deutlich, welche fast schon furchtbare Rolle
Design bei der Gestaltung von Arbeit einnimmt.
Umso wichtiger, sich dessen bewusst zu sein, um
Verbesserungen zu fordern und zu fördern und damit verständig
umzugehen.
Design nämlich ist Arbeit.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Prof. Dr. Michael Erlhoff studierte und promovierte an der Universität Hannover in Deutscher Literaturwissenschaft und Soziologie. Er war Mitglied des Beirats "documenta 8", fünf Jahre lang Geschäftsführer des "Rats für Formgebung/German Design Council" in Frankfurt, veranstaltete etliche Ausstellungen und Konferenzen, schrieb und edierte viele Bücher, wurde 1991 Gründungsdekan des Kölner Fachbereichs Design (inzwischen umgetauft zu "Köln International School of Design") und lehrt dort und in Hongkong, Sydney und Schanghai.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
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