Auf der Überholspur
Living at Work | Teil 9 | - Dagmar Deckstein über den "Megatrend Frau".
Muskelkraft war gestern - in der Arbeitswelt von heute und morgen sind Gehirnschmalz und Herzensbildung gefragt. Die Zeichen der Zeit sind deutlich: Jungen schneiden in der Schule zunehmend schlechter ab als Mädchen. Frauen arbeiten in Wachstumsbranchen, Männer bleiben in zukunftslosen und auch zum Teil schlechter bezahlten Produktionsjobs gefangen.
Revolutionen kommen nicht immer mit
lautem Getöse und Gepolter, mit Pauken und Trompeten daher. Wo
nicht wild umgestürzt, sondern stetig und bestimmt umgebaut wird,
geht es oft schleichend, leise, weithin unbemerkt voran. Vieles
bleibt lange unbeschrieben, unbenannt, weil von den Medien als
Erregungsthema noch nicht richtig erkannt oder ernst genommen.
Noch nicht. Doch der Megatrend Frau setzt sich untergründig
revolutionär durch, sickert in die kleinsten Zwischenräume, weiß
kleinste Nischen für sich zu nutzen und scheint dabei fast
nebenbei die alte Vorherrschaft des männlichen Geschlechts zu
untergraben.
Wie konnte es zu diesem Phänomen kommen? Ganz einfach:
Frauen haben genau das zu bieten, was in der neuen Ökonomie
dringend gebraucht wird, denn sie kommunizieren besser, wuchern
mit sozialen Kompetenzen und bewähren sich als Team- und
Networker. Auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft rennen sie offene
Türen ein.
Problemfall Mann.
Die Zeichen der Zeit sind mehr als
deutlich, in den USA und auch in England zeigen sich bereits
klare Entwicklungstendenzen: Jungen schneiden in der Schule
zunehmend schlechter ab als Mädchen. Frauen arbeiten in
Wachstumsbranchen, Männer bleiben in zukunftslosen und auch zum
Teil schlechter bezahlten Produktionsjobs gefangen und weigern
sich sogar, besser bezahlte "Frauenberufe" auf dem
Dienstleistungssektor anzunehmen. Doch damit nicht genug, denn
Misserfolg im Berufsleben führt zu Misserfolg im Privatleben:
Immer mehr Frauen weigern sich, Partner zu akzeptieren und ihnen
die Schmutzwäsche zu waschen, wenn diese kein geregeltes
Einkommen garantieren können. Wenn solche Männer also weder
Arbeit noch Familie haben, geraten sie immer tiefer in die
Abwärtsspirale, weil sie versäumen, sich grundlegende soziale
Kompetenzen anzueignen.
Und so schlussfolgert sogar der
Economist: "Männer werden ein zunehmendes Problem für die
moderne Gesellschaft. Sie scheitern in der Schule, im Berufsleben
und in der Familie. Und es gibt keine Anzeichen von Besserung."
Bei solchen harschen Tönen dürfte die Tatsache, dass neben
anderen auch demographische Gründe für den Aufstieg der Frau
verantwortlich gemacht werden, Balsam auf die geschundenen
Männerseelen sein. Fakt ist, dass bei schrumpfender Bevölkerung
nicht mehr genügend junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen.
Die Folge: ein drastischer Mangel an Erwerbstätigen. Wie soll
eine alternde Arbeitsgesellschaft, in der die jungen, 20- und
30-jährigen Nachwuchskräfte in den nächsten zwei Jahrzehnten zur
absoluten Mangelware auf dem Arbeitsmarkt werden, wirtschaftlich
überleben? Wie soll sie ihre Produktivitäts- und
Wachstumsreserven nutzen, wenn sie sich nicht die nach wie vor
unterbewertete weibliche Talentreserve sichert, anstatt sie auf
Never-come-back-Erziehungsurlaub zu schicken und in
ressourcenverschwendenden Teilzeitjobs zu parken? Sie kann gar
nicht anders, als die immer noch bei mageren 46,7 Prozent
dahindümpelnde Frauenerwerbsquote in Deutschland nachhaltig zu
steigern - auf jene 60 bis über 70 Prozent, die zum Beispiel in
den USA und in skandinavischen Ländern seit Jahren gang und gäbe
sind. Alle aktuellen Studien und Untersuchungen sagen voraus,
dass sich Frauen künftig schon aus diesen demographischen Gründen
deutlich mehr Chancen im Beruf eröffnen werden als heute.
Bessere Noten, bessere Chancen.
Viel wichtiger ist aber, dass
Frauen, wie erwähnt, ihre männlichen Altersgenossen in Sachen
Qualifikation überrunden. Inzwischen beträgt der Anteil der
Frauen, die ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abschließen,
gemessen an allen Absolventen rund 53 Prozent - und die Mädchen
können zudem mit besseren Zeugnisnoten aufwarten. Bei den
Erstsemestern an den Universitäten stellen Frauen inzwischen 55
Prozent und 31,5 Prozent der Promovierenden. Besonders
profitieren die jungen Frauen von Beschäftigungszuwächsen im
Dienstleistungssektor. Hier sind bereits heute rund 80 Prozent
der Frauen tätig.
Tatsache ist also: Noch nie gab es so viele, so gut
ausgebildete Frauen in den westlichen Industrieländern und der
Arbeitsmarkt der Zukunft bietet gerade ihnen große Chancen: Der
Anteil der Akademiker an den Erwerbstätigen wird bis 2015 weiter
wachsen. Betrug er 1978 lediglich acht Prozent, so werden es 2015
bereits 18 Prozent sein. Gerade Frauen drängen dank ihrer guten
Ausbildung in die neu entstehenden Akademikerjobs. So steht ganz
kleinen, aber auch mittelständischen Unternehmen und schließlich
auch Welt-AGs eine Frage ins Haus, die sie so bisher noch nie zu
stellen gewagt haben. Meredith Moore, Autorin der Studie "Women
in Leadership: A European Business Imperative", formuliert diese
Herausforderung so: "Die Frage ist nicht: Sitzen Mütter im Büro
oder zu Hause? Sondern: Arbeiten diese hoch qualifizierten Frauen
bei uns oder bei der Konkurrenz?"
Kleine Randbemerkung: An der New Yorker Börse gelistete
Unternehmen wie Siemens, DaimlerChrysler oder die Deutsche Bank
machen schon deswegen Druck in Sachen Frauenförderung, weil sie
bei ihren Auftritten als graue Männer-Vorstandsrunden immer
häufiger anecken und peinliche Fragen auf sich ziehen. "Wie, Sie
haben nicht eine Frau im Vorstand?" In den USA sitzen Frauen
nämlich schon lange und mit viel größerer Selbstverständlichkeit
an den Schalthebeln der ökonomischen Macht.
Einzelkämpfer ohne Weitblick.
Doch des Lobes noch nicht genug:
Frauen sind für dieses Zeitalter, in dem soziale und
kommunikative Fähigkeiten sozusagen "kriegsentscheidend" sind,
besser gerüstet als Männer. Muskelkraft war gestern - morgen
werden Gehirnschmalz und Herzensbildung gefragt sein. Und in
solchen Disziplinen tun sich Männer oft überaus schwer - wie
manche Ehefrau und Partnerin aus eigener, leidvoller Erfahrung
weiß. Männer sind in vieler Hinsicht sehr bedürftig, sie sind
bislang eingleisig ausgerichtet auf Erwerbsarbeit, Rationalität
und Einzelkämpfertum. Ihr Denken ist, wie Psychologen behaupten,
fokussiert und zielorientiert. Ein Denken, das natürlich auch
gebraucht wird im erfolgsorientierten Wirtschaften. Aber in
seiner einseitigen Überbetonung erweist sich genau solches Denken
als zunehmend erfolglos. Frauen hingegen denken stärker in
Zusammenhängen, nehmen mehr Einzelheiten in ihrer Umgebung wahr
und verarbeiten diese Details zu komplexeren Mustern. Sie
verstehen es, Nuancen in Haltung und Gestik sowohl ihrer Kinder
als auch ihrer Kunden zu verstehen - von ihren Männern ganz zu
schweigen. Sie können Gefühle von Gesichtern ablesen und kleinste
Veränderungen im Klang einer Stimme deuten.
Das sind soziale Führungsqualitäten, auf die es in einer
kundenorientierten und von Teamarbeit geprägten Arbeitswelt vor
allem ankommt. Einer Arbeitswelt, die von Komplexität, also
Mehrdeutigkeit gekennzeichnet ist, in der nur Weitblick und
Intuition weiterhelfen - und nicht simple
Beherrschbarkeitsillusionen, wie sie im männlichen Management so
weit verbreitet sind. Intuition und Weitblick sind typisch
weibliche Eigenheiten, die perfekt zu den Anforderungen der
modernen Wirtschaftswelt passen.
Maschinenwelt = Männerwelt.
Nur noch Geschichte die Zeiten, in
denen Reformator Martin Luther seiner ziemlich unchristlichen
Frauenverachtung Ausdruck verlieh: "Es ist kein Rock noch Kleid,
das einer Frau oder Jungfrauen übeler anstehet, als wenn sie klug
sein will." Längst passé die Ära, als "gelehrte Weiber" dem
angeblich aufgeklärten Gelehrten Christoph Meiners um 1800 so
"unerträglich" waren, dass er hoffte, baldmöglichst "das ganze
Gezüchte ausgerottet" zu sehen.
Als vor gut zwei Jahrhunderten mit der Industrialisierung
der Siegeszug des technischen Fortschritts und der
Massenproduktion begann, da war dies auch ein allumfassender
Triumph des männlichen Denkens. Von nun an lief die Arbeitswelt
im Takt der Maschinen - geprägt von kühler Rationalität, geordnet
nach strengen Hierarchien, bevölkert von sachlich, analytisch und
funktional denkenden Menschen. Von Männern. Alles "Weibliche"
hatte außen vor zu bleiben, galt als Schwäche, Ohnmacht, fehlende
Potenz. Frauen waren allenfalls geduldet in "dienenden" oder
untergeordneten Berufen - als Hausmädchen, Näherin,
Verkaufsgehilfin oder Krankenschwester. Für junge Mädchen aus
bürgerlichen Kreisen galt Erwerbsarbeit schlichtweg als Tabu.
Fand sie keinen Ehemann, der sie versorgte, blieb ihr oft nur
noch der Weg ins Kloster.
Das alles war gestern und ist längst vorbei. Längst? Nein,
natürlich nicht. In den Köpfen vieler Frauen feiern solche
überkommenen Muster und Klischeevorstellungen nach wie vor
fröhliche Urständ. Ebenso wie in den Topetagen der deutschen
Konzernwirtschaft der untergründige Gedanke vom "natürlichen
Schwachsinn des Weibes" dem der dringend benötigten Co-Managerin
und talentierten Führungskraft im Wege stehen mag. Manchmal
dauert es ein, zwei, manchmal noch mehr Generationen, bis sich
ein überkommenes Klischee im Kopf angesichts der neuen Realitäten
endlich auflöst. Und auch in vielen Frauenköpfen spuken -
Feminismus hin, Emanzipation her - solche althergebrachten, von
Müttern und Gesellschaft antrainierten Vorstellungen herum, die
ihnen einflüstern: Darf ich das? Ich trau mich nicht. Ich halt
mich mal zurück: Der Kollege Mann kann es sicher besser. Damit
wird deutlich: Es sind nicht immer und ausschließlich nur die
Männer die Schufte, die Frauen bremsen, unterbuttern und ihnen
den herbeigesehnten Führungsjob nur deswegen nicht gönnen, weil
sie ihre Macho-Witzrunden und Golfklubseilschaften stören
könnten. Das ist nur die halbe Wahrheit.
Aber dennoch: Die weibliche Seite, die "andere Hälfte des
Himmels", wie es so schön heißt, ist unübersehbar in Blickweite
gerückt. Frauen wissen meist genau, wie sie heute und auch morgen
arbeiten werden: Eine traditionelle Berufslaufbahn - erst
Ausbildung, dann Vollerwerbstätigkeit und schließlich Ruhestand -
jenes männlich geprägte Muster von Erwerbstätigkeit gehört nicht
nur der Vergangenheit an, es ist für Frauen auch nicht unbedingt
erstrebenswert. Sie wissen, dass das Erwerbsleben künftig - wie
für multibeschäftigte Hausmanagerinnen zwischen Job und Familie
schon gestern - in weniger geordneten Bahnen verläuft und jedem
Einzelnen ein hohes Maß an Flexibilität, Selbstorganisation und
Selbstverantwortung abverlangt.
"Die Helden des 21. Jahrhunderts sind höchstwahrscheinlich
die Frauen", sagt der Soziologe und Medientheoretiker Norbert
Bolz. Warum? Weil sie das schon von Haus aus mitbringen, was
jetzt Männer wahrscheinlich mühsam nachlernen müssen. Das heißt
aber, dass man keineswegs Frau sein muss, um weiblich zu denken -
und auch nicht Mann, um männlich zu denken. Da aber das Männliche
in der Vergangenheit zum Ideal erhoben wurde, werden Männer es
entsprechend schwerer haben, den Wandel zu vollziehen. Frauen
hingegen haben vorläufig jenen Wettbewerbsvorteil, dass sie nun
mal vorläufig die Trägerinnen der spezifischen Fähigkeiten und
Fertigkeiten sind. Schon deswegen können sie zunächst als
Leitfiguren des postindustriellen Zeitalters dienen und sich in
dieser, ihnen seit Jahrhunderten verwehrten neuen Rolle erproben.
Die derzeitigen Träger des Wissens, das sich mit den
spezifischen, nachgefragten Fähigkeiten an menschenfreundlichem
Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und gegebenenfalls auch
Anteilseignern des jeweiligen Unternehmens paart, das sind fürs
Erste nun mal die Frauen.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
Dagmar Deckstein ist Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung und freie Autorin bei changeX.
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
www.orgatec.de
Vom 19. bis 23. Oktober 2004 |
© changeX Partnerforum [05.03.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 05.03.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autorin
Dagmar DecksteinDagmar Deckstein ist freie Wirtschaftsautorin in Stuttgart. Sie schreibt u.a. für die Süddeutsche Zeitung und für changeX.