Zorro statt Zero!
Generation Z - das neue Buch von Reinhard Mohr.
Heute erscheint eines der Highlights in diesem Bücherherbst. Zumindest für alle Männer zwischen 40 und 50. SPIEGEL-Redakteur Reinhard Mohr hat sich stellvertretend sein Leben von der Seele geschrieben. Zwar etwas leidenschaftslos und kühl, aber immerhin noch so streitehrlich, dass sich die Generation Z im Spiegel betrachten kann. Eine Reise von der elterlichen Bratkloß-Kultur in die hippe Berlin-Mitte. Die Reiseleitung: ein Konservativer, der das Erreichte bewahren will. In den nächsten 30 Jahren das Leben genießen, Weisheit verbreiten und Glück teilen. Nix da, sagen wir. Zukunft heißt, das Leben herauszufordern, Weisheit zu zertrümmern und das Unglück auszubalancieren. Das Erreichte ist bereits Vergangenheit. No way back.
Mohr, im richtigen Leben ein voll alimentierter, fest angestellter SPIEGEL-Redakteur in warmer Redaktionsstube, hat sich intensiv seiner Lebenslinie gewidmet. Körper, Geist und Seele haben offenbar schwer gelitten unter dem Einfluss von Bordeaux (Weinen), Startbahn West (Demos) und Berlin-Mitte (Lifestyle-Erwachen). Ein subjektiver Bericht, gepflastert mit Ich-Bekenntnissen und Zweifeln, mit Überzeugungen und Verwirrungen, mit Urteilen und Verurteilungen. "Ich habe immer noch kein Kind gezeugt, kein Haus gebaut, und auch die Ehe habe ich gemieden wie der Teufel das Weihwasser." Und eine Seite später werden die dazugehörigen Selbstzweifel aufs Schild gehoben: "Die ich-bezogene Selbstverwirklichung untergräbt den Kern von Bindung, Intimität und Vertrautheit. Am Ende sitzt jeder in seiner narzisstischen Ich-Höhle, surft durchs Internet und sucht Kontakt im virtuellen Chatroom."
Mohr ist ein Grübler, der das Früher bisweilen arg romantisch hochleben lässt und das Jetzt auf die Couch des Analytikers wuchtet. Die 1970er als Idylle kraftstrotzender Selbstverwirklicher, die 2000er im Fegefeuer mit jammernden Selbstzweiflern. Das Ganze mit eingebauter "Früher-war-eh-alles-besser"-Haltung. Über die Leidenschaften, Gefühle und Allmachtsfantasien der Jugend hat sich, so der SPIEGEL-Mann, ein rationaler Schleier gelegt. "Von der endemischen Beziehungsflucht bis zum minutiösen Ehevertrag, von der andauernden Vernunft- und Sicherheitspartnerschaft bis zum wohlkalkulierten Abenteuer - überall hat sich ein abwägend schmerzlinderndes, rationales Denken entwickelt, das die Leidenschaften wie ein feines Netz durchwirkt." Ein Leben im Schutzanzug, um die Wellen von Enttäuschungen und Desillusionierung abprallen zu lassen. Ein bisschen Muskeln und gutes Aussehen gehören aber noch dazu: "Selbstverständlich achte ich seit Jahren auf meine Figur, treibe mäßig Sport im mittleren Pulsfrequenzbereich, bevorzuge mediterrane und asiatische Kost."
Der Z-Single tut endlich, was er will.
Womit wir wieder bei den
Unterschieden wären. Dem allein lebenden Menschen oder Single
widmet Mohr ein Gutteil seiner Ausführungen. Der Single habe "die
Utopie des Kommunismus im Einmann-Betrieb erfüllt: Er lebt nach
seinen Bedürfnissen." Der Z-Single, der mit Protest und Revolte
groß, später dann mit Konsum und Wohlstand noch größer geworden
ist, tut endlich, was er will: "ein Austern-Autonomer von eigenen
Gnaden". Er müsse, so Mohr, auf niemanden Rücksicht nehmen, außer
auf sich selbst. Doch darin schlummere der Kern einer ständigen
Überforderung. Immer Richter und Anwalt seiner selbst sein, immer
ein "Einmann-Kollektiv samt Betriebsrat und Volkstribunal". Der
ideale Humus, aus dem starke Angsttriebe und Blüten voller
Zweifel wachsen. "Sind denn all die schillernden Freiheiten des
scheinbar ungebundenen Lebens nicht doch nur Pseudofreiheiten,
Placebos der Selbstrechtfertigung, bunte Pillen des
Selbstbetrugs?"
Tja, der Selbstbetrug. Ein Lieblingsthema auf Abiturfeiern
der Generation Z. Zu fortgeschrittener Stunde fallen dann die
Masken und es macht sich die Einsicht breit, zu oft die falschen
Ausfahrten genommen zu haben. Im Erschnüffeln der
Geldvermehrungsspur hingegen sind sie Könner ihres Fachs. Der
Rest ist Schweigen, vielfach ebenfalls aus Gold. Gemeinsamkeiten
gibt es wenige. Vor allem die Singles sind sonderbar geworden.
Mohr erklärt: "Der Single pickt sich seine biografischen,
sozialen, amourösen, politischen und anderweitig abgründigen
Grashalme auf der grünen Wiese des Daseins heraus, ohne sie am
Ende zu einem ordentlichen Nest zusammenzufügen."
Ein Bewerbungsschreiben an die besten Töchter des Landes.
Die Signale von früher hört kaum
mehr jemand. Wo einst die Morgenröte in den Wäldern um die
Frankfurter Startbahn West oder auf den Feldern rund um das AKW
Brokdorf lockte, herrscht heute orthopädisches Abendgrau und
Rabenschwarz im Neonlicht. Reinhard Mohr oszilliert zwischen dem
verpassten Leben und dem Versuch, davon abzulenken. Also lautet
die Devise einer ganzen Generation: Nur der Not keinen Schwung
geben. Keine Sekunde darf im Leerlauf verschwendet werden. So
lange herumwirbeln, bis das Grau verschwindet. Mohr bezeichnet
sich selbst als leuchtendes Vorbild der Ablenkungsstrategen:
"Normalerweise lese ich Zeitung, während Fernsehnachrichten
laufen, der Laptop summt und SMS-Mitteilungen darauf warten,
beantwortet zu werden. Nebenher läuft die Waschmaschine,
womöglich köchelt die Spaghettisauce, die gerade dann nach
besonderer Zuwendung verlangt, wenn das Telefon klingelt und ein
halber Gedanke auftaucht, der umgehend notiert werden muss."
Liest sich aber auch wie die Kontaktanzeige des deutschen
Muster-Schwiegersohns auf einer Heiratsmarkt-Website. Und
irgendwann merkt der geneigte Leser, dass dieses Buch letztlich
insgesamt ein Bewerbungsschreiben an die besten Töchter des
Landes ist. Seht her, ein Mohr: Geläuterter Hippie, längst zu
Hause in den urbanen Dschungeln der Stadtmitten,
Multitasking-Experte, Freigeist und Konfigurator des guten
Lebens. Auf den Schlag weg zu heiraten. Denn schließlich ist die
Welt eh nicht mehr zu retten.
Doch Mohr dringt noch eine Schicht tiefer vor. Die
Generation Z verneble nicht nur den jugendlichen Leichtsinn,
nein, sie verneble ihr ganzes bisheriges Leben, das sie lieber
"ganz authentisch, wahrhaft befreit, echt und glücklich" geführt
hätte. In Wirklichkeit hat sie vergeblich darauf gewartet. Die
Folge war "ein permanenter Ausnahmezustand, in dem man sich ganz
gemütlich einrichten konnte". Zu besichtigen übrigens täglich in
Berlin-Mitte. Und manchmal fährt der Mohr sogar mit dem Fahrrad
vorbei. Dann steigt er ab und stellt ein Schild mit den Worten
auf: "Das Leben frisst alle Theorie, und die Enttäuschung ist die
Mutter aller Weisheit." Könnte auch eine Werbeaktion des
SPIEGEL sein, der diesen Spruch als kleine
Heiligenbildchen an die Abonnenten verteilen lässt.
Was bleibt? Ein vorsichtiges, selbstsicheres und souveränes
Leben will er führen, der gute Mohr. Seine Ruhe will er haben im
preußisch-aufgezuckerten Berlin-Mitte - bequem und privilegiert.
Am Monatsersten sorgt dann der Bankauszug für Ruhe - ohne Risiko
im Federbettchen der alten Bundesrepublik. Sich damit
herumzuschlagen, wie die Welt denn nun im Ganzen aussehen könnte,
ist nicht mehr sein Bier. Schade, aber Deserteur bleibt
Deserteur.
Die Angst-Ära des Überall-immer-Weniger bricht gerade an.
Wir wollen nicht ungerecht sein. Es
ist ja nur die Geschichte eines 48-jährigen weißen,
unverheirateten heterosexuellen Wessi-Manns, der seit ein paar
Jahren in Berlin-Mitte lebt. Ich als 43-jähriger weißer,
verheirateter (noch dazu zwei Kinder) heterosexueller
Niederbayer, der seit vielen Jahren in Erding bei München lebt,
habe mich in vielen Passagen des Buches wiedergefunden, habe oft
zustimmend genickt. Sogar über manche parallele Biografie-Etappe.
Aber letztlich habe ich meine Laufbahn als Chronist des
Sicherheitsdeutschlands vor längerer Zeit beendet. Ich schreibe
nicht mehr auf Kosten der Opfer, sondern damit sie gewinnen -
mehr Selbstverwirklichung, mehr Möglichkeitsräume, mehr wilde
Freiheit. Die Ich-, Wir- und Weltfindung ist gerade zu einer
neuen Mission aufgebrochen. Leider ist sie riskant, gefährlich
und bisweilen existenzbedrohlich.
Kurzum: Anstatt wie Mohr die "nächsten 30 Jahre das Leben
zu genießen, Weisheit zu verbreiten und Glück zu teilen" wird ein
anderer Teil der Generation Z das Leben herausfordern, Weisheit
zertrümmern und Unglück ausbalancieren. Das klingt
unverbesserlich, ist aber die einzige
"Lebensoptimierungsstrategie" in der anbrechenden Angst-Ära des
Überall-immer-Weniger.
Peter Felixberger ist Geschäftsführer und Chefredakteur von changeX.
Reinhard Mohr:
Generation Z
oder Von der Zumutung älter zu werden,
Argon Verlag, Berlin 2003,
222 Seiten, 18 Euro,
ISBN 3-87024-597-2
www.argon-verlag.de
© changeX [20.08.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Reinhard Mohr: Generation Z oder Von der Zumutung älter zu werden.. Argon Verlag, Berlin 1900, 222 Seiten, ISBN 3-87024-597-2
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Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.
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