Viel erreicht, was nun?
Ein Interview mit der Silke Strauß, Personalberaterin und Executive Coach, über die Weiterentwicklung am Scheitelpunkt der Karriere.
Im hektischen Tagesgeschäft fehlt oft die Zeit zum Nachdenken, zum Entwickeln von neuen Zielen und Visionen für einen selbst. Doch das rächt sich in der flexiblen, unsicheren Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts irgendwann. Spätestens wenn der Gipfelpunkt der Karriere erreicht ist.
Silke Strauß, Betriebswirtin und Kommunikationsberaterin, ist seit vielen Jahren als Personalberaterin mit der Auswahl und Beurteilung von Fach- und Führungskräften betraut. Außerdem ist sie als Executive Coach tätig. Gerade ist ihr neues Buch Viel erreicht - was nun? im Campus Verlag erschienen.
Wieso sollte man sich einen Karriere-Ratgeber kaufen, wenn
man's doch geschafft hat, eine gute Position erreicht hat und
sehr gut verdient?
Gerade das ist eine kritische Phase. Wenn Sie die Hälfte
oder ein Drittel Ihres Arbeitslebens hinter sich haben, gut
verdienen und sich irgendwo eingerichtet haben, ist es natürlich,
dass solche Gedanken kommen wie: Ist das alles? Wie lange kann
ich mich halten? Geht's noch höher? Will ich noch höher? Habe ich
noch Chancen, Möglichkeiten? Denn wenn man einen Gipfelpunkt
erreicht hat, geht es ringsum nur abwärts.
Man sollte sich, so raten Sie, an Spitzensportlern
orientieren. Die wissen, dass sie nur bis zu einem gewissen Alter
Hochleistungen erbringen können, und stellen sich auf andere
Karrierephasen, auf den Berufswechsel von vornherein ein.
Genau. Der Unterschied ist natürlich, dass das in der
Wirtschaft nicht so wahrgenommen wird. Man will es nicht
wahrhaben, dass solche Phasen möglich sind. So wie die
Unternehmen immer davon träumen, dass es kontinuierliches
Wachstum gibt, träumen viele in solchen Positionen immer davon,
dass es stets weiter gehen kann und merken gar nicht, dass sie
eigentlich schon am Endpunkt angelangt sind und nicht mehr höher
kommen werden.
Es ist einfach eine Tatsache, dass es heute in der Karriere
nicht mehr linear bergauf geht, dass es keine Kontinuität mehr
gibt. Das Positive daran ist: Wenn man es wirklich als Chance
sieht, kann man auf sehr viel vielfältigere Art und Weise im Job
Erfüllung finden und auch mal andere Dinge ausprobieren.
Selbstständigkeit, Auszeit, Weiterbildungszeiten, ganz andere
Tätigkeiten. Es gibt ganz andere Möglichkeiten als früher.
Eine Dosis Realismus ist also ganz nützlich, um sich
rechtzeitig umzuorientieren. Aber wie ist es eigentlich - kann
man sich in einem gewissen Alter noch komplett umstellen, etwas
anderes machen?
Das geht grundsätzlich immer. Es hängt aber auch sehr vom
Einzelnen ab. Wenn es eine lange Zeit über nur aufwärts gegangen
ist, fällt es sehr schwer, sich umzustellen. Ich coache einen
Topmanager, der seit 19 Jahren in der gleichen Firma arbeitet und
dort seit acht Jahren Vorstand ist. Nun hat er einen neuen
Vorgesetzten bekommen, und das wird im Laufe dieses Jahres das
Aus für ihn bedeuten. Das liegt nicht an seiner Leistung, sondern
einfach daran, dass der neue Vorgesetzte jemanden mitgebracht
hat, den er gerne auf die Position des Managers setzen möchte. Es
hat eine ganze Weile gedauert, bis mein Coachee das überhaupt mit
Abstand sehen konnte und akzeptiert hat, dass seine Zeit in der
Firma abgelaufen ist. Ist das bewältigt, kann er sich der Frage
stellen: Was mache ich jetzt? Und wird wieder fähig, sich
umzuschauen und andere Möglichkeiten zu erkennen.
Ganz ungewohnter Gedanke, dass auch Führungskräfte die
gleichen Probleme haben wie Otto Normalarbeitnehmer ...
Das ist das Neue an unserer Zeit. Früher wurden eher die
gering Qualifizierten arbeitslos, doch das hat sich in den
letzten zwei oder drei Jahren wesentlich verändert. Heute ist man
auf keiner Hierarchie-Ebene mehr gefeit vor einem Rausschmiss.
Das kann Ihnen mit jeder Ausbildung, in jeder Position
passieren.
Gerade für die Erfolgreichen ist das sicher schwer zu
akzeptieren.
Richtig. Ich glaube, es ist ein psychologisches Problem.
Keiner möchte gerne aufgeben, was er erreicht hat. Aber manchmal
ist das Loslassen nötig. Wenn man mal eine gute Position hatte
und sehr weit gekommen ist, hat das auch etwas damit zu tun
gehabt, dass man einen für sich sehr gut geeigneten Rahmen
gefunden hatte. Um wieder einen ähnlich optimalen Rahmen zu
finden, in dem man sich entfalten kann, muss man auch in Kauf
nehmen, ein paar Schritte zurückgehen zu müssen oder erst im
zweiten oder dritten Anlauf fündig zu werden. Meine Theorie ist:
Diese Rückschritte werden die Regel werden. Das Diagramm einer
typischen Karriere wird aussehen wie ein Sägeblatt - mal geht es
nach oben, dann wieder ein Stück nach unten und von dort aus
wieder hoch.
Mit entsprechenden Gehaltseinbußen in den Phasen der
Rückschritte, nehme ich an ...
In den letzten eineinhalb Jahren mussten die Kandidaten bei
über der Hälfte der Positionen, die ich vermittelt habe,
finanziell zurückgehen. Allerdings waren die Jahre 1999 und 2000
auch Boomjahre, die in einigen Bereichen unverhältnismäßig hohe
Gehälter produziert haben. Die Unternehmen versuchen zur Zeit,
die Gehälter zu drücken. Weil es mehr Nachfrager als Anbieter
gibt, funktioniert das auch. Aber viele Leute haben ein Problem
damit. Natürlich: Jeder schafft sich, je nach Gehalt, seinen
Rahmen und Lebensstil - von den Statussymbolen bis hin zur
Altersvorsorge. In der Krise ist es eine wichtige Aufgabe, sich
die Frage zu stellen: Was brauche ich als Basics, und worauf kann
ich verzichten?
Werden solche Rückschritte oder gar Phasen der
Arbeitslosigkeit von den Personalmanagern immer noch negativ
bewertet?
Es wurde in der Vergangenheit durchweg negativ bewertet.
Aber auch den Unternehmen ist klar, was zur Zeit abläuft und wie
es mit der Konjunktur aussieht. Deshalb beginnt sich das Bild ein
wenig zu wandeln, die Personalverantwortlichen sehen das
zunehmend differenzierter. Ihnen ist klar: Wenn heute jemand aus
einer guten Position ausscheidet, kann es sein, dass der- oder
diejenige ein halbes Jahr oder Jahr braucht, bis er oder sie
einen angemessenen Anschlussjob findet.
Und wenn das nicht klappt - sollte man dann über
Selbstständigkeit nachdenken?
Den Traum, ihr eigener Chef zu sein, haben viele, bei der
Umsetzung hapert es oft. Denn vielen fehlen die Voraussetzungen.
Um sich selbstständig zu machen braucht man einen langen Atem,
man muss bereit sein, eine Durststrecke hinter sich zu bringen
und Risiken einzugehen. Gerade wenn Sie vorher lange angestellt
waren, ist es schwierig. Dann ist man gewohnt zu wissen, was man
jeden Monat auf dem Konto hat und auch noch in sechs Monaten
verdient. Auf etwas richtet man sich natürlich ein. In der
Selbstständigkeit ist die größte Hürde die Unsicherheit: Was
verdiene ich in zwei Monaten? Geht es weiter? Werde ich Aufträge
haben? Bekomme ich noch Kredit?
Es gibt auch gerade zur Zeit einige erzwungene
Selbstständigkeiten. Manche entdecken dabei, dass sie das sehr
spannend finden, aber bei den meisten funktioniert es nicht. Oft
hat das gar nicht einmal etwas mit den Finanzen zu tun. Ich höre
sehr oft: "Es geht zwar irgendwie, aber ich hab kein Team um mich
herum, ich habe niemanden, mit dem ich mich austauschen kann. Es
macht mir keinen Spaß, mich alleine durchzuschlagen."
Klingt logisch. Die meisten Menschen sind gewohnt, in eine
Organisation eingebettet zu sein - und sind von "ihren"
Unternehmen stark geprägt.
Ich denke, was das angeht, leiden wir alle unter einer
gewissen "deformation professionelle". Wenn wir in einem Beruf
arbeiten, haben wir es immer mit einer bestimmten Klientel zu tun
- zum einen über die Kollegenkreise, die oft ähnlich ticken, aber
auch beim Umgang nach außen. Das prägt Sie. Es macht einen
Unterschied, ob Sie bei einer Bank "groß geworden" sind oder bei
einem Hightech-Unternehmen. Sie selbst bekommen von dieser
Prägung gar nichts mit - in der Regel bemerkt man sie erst bei
einem Firmen- oder Branchenwechsel. Dann muss man sich zum
Beispiel abgewöhnen, die Abkürzungen und Sprachcodes der alten
Firma zu benutzen.
Aber auch die Größe des Unternehmens macht einen
Unterschied. Wenn Sie sich in einem Konzern bewegt haben und dann
zu einem Mittelständler gehen, der familiengeführt ist, steht
Ihnen ein Kulturschock bevor. Sie können im Konzern sehr gut
gewesen sein, aber das heißt nicht, dass Sie bei dem
Mittelständler "anwachsen". Vielleicht ist das für Sie kein
optimales Umfeld.
Was sollte man tun? Versuchen, diese alten Prägungen möglichst
aus sich herauszukriegen?
Man muss sich dessen bewusst sein, was einen geprägt hat,
denn man trägt diese Prägungen immer mit sich herum. Man sollte
sich kritisch fragen: Wie viel wurde mir zugearbeitet, wie groß
ist mein Anteil am Erfolg? Was kann ich wirklich leisten,
unabhängig von meinem bisherigen Umfeld? Das ist meiner Meinung
nach sehr wichtig, um einen erfolgreichen Wechsel vollziehen zu
können.
Noch besser ist aber, von vornherein darauf zu achten, dass
man auch mal wechselt und sich dadurch die Chance gibt, andere
Sichtweisen, andere Methoden kennen zu lernen. Das schult die
eigene Flexibilität. Es heißt unter Personalberatern: Sieben,
acht Jahre, das ist das Maximum. Wenn man so lange irgendwo war,
ist man - meist ohne es zu merken - extrem infiltriert von der
Kultur des Unternehmens, völlig integriert. Nach acht Jahren
Verwurzelung ist es sehr schwierig, sich irgendwo rauszulösen und
woanders reinzukommen.
Zurück zum Problem des Karrieregipfels. Wie sollte man die
"Und was jetzt?"-Ratlosigkeit angehen?
Zunächst sollte man eine Bestandsaufnahme machen: Fühle ich
mich wohl mit dem, was ich mache? Bin ich vielleicht gar nicht
da, wo ich sein will? Wie stelle ich es mir in Zukunft vor?
Visionen für die Zukunft zu entwickeln ist dabei das
Schwierigste. Gerade wenn man im Job steht und in die Familie,
den Freundeskreis eingebunden ist, Sport macht und so weiter. Oft
fehlt schlicht die Zeit zum Nachdenken. Also machen viele einfach
so weiter und kommen vielleicht irgendwann an den Punkt, an dem
sie merken: Ich bin nicht mehr zufrieden, es stimmt nicht mehr,
ich bin gelangweilt oder es geht schlicht nicht mehr weiter für
mich.
Dann gilt es, neue Visionen zu entwickeln. Aber Selbstanalyse
kann, so schreiben Sie, auch gefährlich sein.
Das kann dann der Fall sein, wenn Sie es nicht schaffen,
sich mit Abstand zu betrachten. Häufig bringt Sie ja ein äußeres
Problem zum Nachdenken: Ihr Job funktioniert nicht mehr, jemand
mobbt Sie, Sie haben Stresskrankheiten. In der Krise ist es aber
schwer, zu erkennen: Wo stehe ich überhaupt? Bin ich das Problem
oder die Umgebung? Man neigt in solchen Situationen dazu, um das
Problem zu kreisen, ohne eine Antwort zu finden. Oder zu sagen:
Ich bin nicht mehr erfolgreich, weil meine Leute nicht gut sind.
Weil der Markt schlecht ist. Weil die Firma mich nicht so lässt,
wie ich will. Der kritische Blick auf den eigenen Anteil an der
Situation fehlt oft.
Spätestens dann ist es wahrscheinlich Zeit für ein Coaching
...
Zumindest sollte man sich überlegen, wo man Unterstützung
herbekommt. Coaching ist deswegen interessant, weil Sie einen
Sparringspartner haben, der absolut objektiv ist. Freunde scheuen
sich oft, einem unangenehme Wahrheiten zu sagen. In verfahrenen
Situationen ist Coaching sicher besser, als sich lange zu quälen
- das hilft, sehr viel schneller aus dem Problem
herauszukommen.
Der Coach kann vermutlich auch Impulse für die Karriereplanung
geben. Für viele Führungskräfte ist es sicher
gewöhnungsbedürftig, dass Karriere kaum mehr planbar ist.
Sie ist auf jeden Fall schwieriger planbar als in früheren
Zeiten, weil die Märkte sich schneller verändern und weil
Unternehmen keine langfristige Personalplanung mehr machen
können. Aber wenn man akzeptiert, dass es so ist, und sich darauf
einstellt, hat man einen Großteil der Aufgabe bewältigt. Weil man
sich nicht in der Sicherheit wiegt: Hier bin ich und hier bleib
ich. Dann hält man automatisch Augen und Ohren offen, beobachtet
den Markt und spinnt sein Netzwerk.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Silke Strauß:
Viel erreicht - was nun?
Entscheidungshilfen für Ihre nächsten Jahre im Beruf,
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003,
224 Seiten, 24,90 Euro,
ISBN 3-593-37070-0
www.campus.de
© changeX Partnerforum [29.04.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Silke Strauß: Viel erreicht - was nun? . Entscheidungshilfen für Ihre nächsten Jahre im Beruf.. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1900, 224 Seiten, ISBN 3-593-37070-0
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