Abschied vom Pauken

Neues Projekt zur Zukunft des Lernens.

Eines ist klar: Das deutsche Bildungssystem wird sich ändern müssen. Doch wie könnte seine Zukunft aussehen, wie werden wir im Jahr 2010 und danach lernen? Zwei Bildungsverbände starten zusammen mit Zukunftsforschern ein Diskurs- und Gestaltungsprojekt. Ihre Studie gibt Hinweise darauf, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte und muss.

Zur Zeit wird - PISA-Schock sei Dank - intensiv über die Zukunft des gesamten Bildungssystems nachgedacht. Experten erwarten in den kommenden Jahren grundlegende Strukturreformen. Denn die bisherigen Formen, Inhalte und Qualitätsstandards der Bildung stehen auf dem Prüfstand, vieles ist nicht mehr zeitgemäß oder hat sich als uneffektiv herausgestellt. Bei allen Meinungsunterschieden über die Einzelheiten eines zukunftsfähigen Bildungssystems scheint eines klar: Eine hoch entwickelte Industriegesellschaft wie die Bundesrepublik Deutschland hat auf ihrem Weg in die Wissensgesellschaft keine Alternative zu einer innovativen Weiterentwicklung ihres Bildungswesens.
Und da gibt es einiges zu tun, wie zwei namhafte Bildungsverbände in einer Expertenbefragung jetzt ermittelten. Im Rahmen eines längerfristigen Kooperationsprojekts zwischen dem Deutschen Didacta Verband e. V. und dem Bundesverband der Diplom-Pädagoginnen und Diplom-Pädagogen e. V. (BV-Päd.) - in ihnen sind Experten aus allen Bildungsbereichen vertreten - wurden die Verbandsmitglieder in einer Fragebogenaktion im Februar und März 2003 über ihre Einschätzungen, Erwartungen und Wünsche zur "Zukunft des Lernens" befragt. Zeithorizont der Befragung war das Jahr 2010 plus. Gefragt wurde nicht nur nach der Meinung zu den allgemeinen Rahmenbedingungen des Lernens, sondern auch nach detaillierten Einschätzungen zu den Bereichen Kindergarten/Vorschule, Schule, Ausbildung und Weiterbildung. Wie könnten und sollten sich diese Bereiche entwickeln?
Zwar erheben die Befragungsergebnisse, die auf 121 ausgewerteten Fragebögen basieren, keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität. Doch sie zeigen eine kritische und engagierte Sicht aus der Binnenperspektive des Bildungssektors und geben so manchen wertvollen Denkanstoß.

Flexibel und individuell.


Natürlich offenbarte die Studie eine Vielfalt an Meinungen - aber es gab auch viele Übereinstimmungen. Vor allem bei folgenden Punkten:

  • Lernen wird zunehmend selbst organisiert, flexibel und individuell angepasst stattfinden, beispielsweise unterstützt durch Lerncoaches und im Rahmen von Wissensnetzwerken. Das erfordert nicht nur ein höheres Maß an Eigeninitiative und finanziellem Einsatz des Einzelnen, sondern dürfte - die Kehrseite der Medaille - auch die soziale Schere zwischen "Gebildeten" und "Ungebildeten" weiter öffnen. Um dieser Entwicklung wirksam zu begegnen, bedarf es neuer Konzepte.
  • Die staatlichen Bildungseinrichtungen sind für die kommenden Herausforderungen kaum gerüstet. Deshalb gehört die Zukunft institutionenübergreifenden Wissensnetzen (Lernclustern), in denen private, öffentliche und halböffentliche Bildungseinrichtungen in einer vernetzten Infrastruktur miteinander kooperieren. Beispielsweise sollten sich Berufsschulen als Teil eines Netzwerkes unterschiedlicher regionaler Bildungseinrichtungen und Unternehmen begreifen und organisieren.
  • Ein riesiger Handlungsbedarf zeichnet sich beim gesamten Elementar- und Schulbereich ab: Kindergarten und Vorschule, so die Forderung der Bildungsexperten, müssen deutlich aufgewertet werden - beispielsweise durch Fremdsprachenunterricht und Naturwissenschaften in der Vorschulerziehung. Für den Bereich der Schulen wird eine aktivere Förderung von Neugier und Kreativität als Quelle des Lernens angemahnt. Und regelmäßige Weiterbildung für Lehrer soll endlich selbstverständlich werden.
  • Beim Medieneinsatz im Bildungswesen offenbart die Studie zwei Kulturen. Doch die einst ideologisch verhärteten Positionen zwischen "Bücherliebhabern" und "Computerfreaks" sind einer produktiven Nachdenklichkeit gewichen. Es wird beklagt, dass vielerorts noch Bildungskonzepte fehlen, die virtuelle Lernformen gezielt und nutzbringend einsetzen und sinnvoll mit der Buchkultur und der persönlichen Lehrerpräsenz verbinden. Breit abgelehnt werden Techno-Visionen wie die eines in den Körper implantierten Datenchips.
  • Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels (Alterung der Gesellschaft und damit auch der Belegschaften) und der wachsenden Flexibilitätsanforderungen in Bezug auf fachliche Qualifikationen wird und muss das lebenslange, tätigkeitsbegleitende Lernen in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Dies gilt auch für die Lehrer und Weiterbilder selbst.

Hin zum Gestaltungsprozess.


Die Ergebnisse der Befragung können als kompetente Agenda für vertiefende Analysen und vor allem für eine innovative und kreative Weiterentwicklung der deutschen Bildungslandschaft dienen. Doch die Kooperation dieser beiden wichtigen Verbände des Bildungswesens (die dabei von den Essener Zukunftsforschern der Z _punkt GmbH Büro für Zukunftsgestaltung unterstützt werden) reicht weit über die Studie hinaus. Das Projekt soll keine Eintagsfliege sein, sondern aktiv einen inhaltlichen Beitrag für die notwendige Umgestaltung des Bildungsbereichs leisten. Seine Aufgabe ist es, einen Gestaltungsprozesses in Gang zu setzen, an dem alle wesentlichen Akteure aus Kindergarten, Schule, Hochschule und Weiterbildung beteiligt sein sollen.

Die komplette Studie steht als kostenloses Download auf den Internetseiten der drei Projektpartner bereit.

www.didacta-verband.de
www.bv-paed.de
www.z-punkt.de

© changeX Partnerforum [28.03.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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