Guter Umsatz
Existenzgründung auf 128 Seiten – geht das? Ein Anlass, darüber nachzudenken, welchen Kenntnisstand Gründungsratgeber voraussetzen dürfen: dass Umsatz nicht gleich Gewinn ist, zum Beispiel?
Olaf war guter Dinge. Nachdem er seinen Job auf einer Zeche verloren hatte, hatte er sich mit seiner Abfindung selbständig gemacht und ein Zweiradgeschäft eröffnet. Und der Laden lief gut. Er erwirtschaftete gute Umsätze, hatte ständig Kundschaft im Laden und dachte schon daran, einen Mitarbeiter einzustellen – als auf einmal der Kontostand schrumpfte und binnen Kurzem kein Geld mehr da war, um Ladenmiete und Lieferantenrechnungen zu bezahlen. Was war passiert? Olafs Laden hatte nie kostendeckend gewirtschaftet. Er hatte gute Umsätze erzielt, aber zu geringe Preise verlangt – das war das Geheimnis seines Kundenerfolgs. Wie viele andere Gründer unterlag Olaf, so Gründungsexpertin Sandra Bonnemeier „dem Trugschluss, das Geld in seiner Kasse sei identisch mit seinem Gewinn“.
Ob unser Gründer Gründungsratgeber zurate gezogen hat, bevor er sein Unternehmen startete, weiß man nicht. Aber man kann fragen, ob er diesem fatalen Trugschluss entgangen wäre, wenn er einen gelesen hätte. Nicht unbedingt einen der „dicken Schinken“, sondern einen kleinen, schmalen, einen, der den Eindruck transportiert (und davon lebt), alles Wesentliche zum Thema Gründung zu vermitteln. Wie den Taschenguide Existenzgründung von Joachim Tanski, Andreas Schreier und Steffen Thoma, der mittlerweile in der fünften Auflage vorliegt. Der Serien-Claim der Taschenguides „alles, was Sie wissen müssen“ wurde zwar irgendwann nach der dritten Auflage dieses Büchleins offiziell entsorgt, aber irgendwie in diese Richtung geht der Anspruch dieser und ähnlicher recht erfolgreichen Reihen dann doch. Und selbstverständlich haben die Autoren auch den richtigen Rat parat. Unter der Überschrift „Können Sie Ihre Kosten decken?“ heißt es da: „Ihre Idee kann noch so gut sein und Sie selbst noch so qualifiziert, wenn Sie jedoch auf Dauer keine ausreichenden Gewinne machen, ist eine Unternehmensgründung nicht sinnvoll.“
Klar, oder? Nur: Was ist, wenn jemand den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn nur vom Hörensagen kennt. Und ihm auf den Seiten davor bei der Beschäftigung mit Entscheidungsmatrix, Umsatzplan sowie Kapitalbedarfs- und Liquiditätsplan Hören und Sehen vergangen ist? Müsste ein Ratgeber nicht wirklich erst einmal den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn erläutern? Und erklären, dass man die Belege hinter den Kontoauszügen mit den entsprechenden Buchungen abheftet, statt den Unterschied zwischen doppelter Buchführung und einfacher Einnahme-Überschuss-Rechnung als gegeben vorauszusetzen? Dies ist sicher nicht allein diesem Buch anzulasten. Es ist ein grundsätzliches Problem der Existenzgründungsratgeberbranche.
Zu diesem Buch könnte man sagen: Wenn jemand eine Bar, einen Zweiradladen oder einen Fabrikationsbetrieb für Spezialschrauben gründen möchte, mögen die Ratschläge zu Standortwahl und diversen Planungsparametern passen – aber genau besehen stimmt das auch schon wieder nicht. Denn jeder Schraubenhersteller muss heute seine Mitbewerber in Fernost auf dem Radar haben. Davon findet sich in dem Buch kein Wort. Offenbar haben die Autoren seit der Erstauflage 1999 zwar hier und da nachgebessert, aber nicht weiter nachgedacht. Ihr Gründungsverständnis ist altbacken, formal und schematisch. Themen wie Internet, Globalisierung und der Wandel der Märkte spielen keine Rolle.
Ein Beispiel? Werbung: Den Autoren zufolge kann man dazu Anzeigen, Plakate, Werbung auf Firmenfahrzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln sowie Kino- und Radiowerbung nutzen. Dass das Internet und vor allem das Web 2.0 mit Facebook, Twitter und anderen Social Networks völlig neue Möglichkeiten bietet, Aufmerksamkeit und Kundenbindung zu erzeugen, dass ein Weinlokal zum Beispiel seine aktuellen Tagesgerichte auf seiner Fanpage auf Facebook an die Freunde des Unternehmens kommunizieren kann, davon findet sich in diesem Büchlein kein Satz. Und wer diese Möglichkeiten nicht erkennt, wird auch nicht darüber nachdenken können, ob sich die Voraussetzungen für Gründungen vielleicht grundlegend gewandelt haben.
Dennoch eine Empfehlung: Gründer, die am Anfang stehen, dürfte der Planungs-Overload dieses Ratgebers eher abschrecken – aber für solche, deren Geschäftsidee weitgehend steht, bietet sich dieses verständlich und klar geschriebene Buch als Check an: Nämlich zu prüfen, ob man alle betriebswirtschaftlichen Planungsvarianten wirklich berücksichtigt hat. Dafür sind die 6,90 Euro gut investiert.
Sandra Bonnemeiers Praxisratgeber Existenzgründung werden wir zum Erscheinen der Neuauflage 2010 vorstellen.
changeX 04.06.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Joachim Tanski, Andreas Schreier, Steffen Thoma: Existenzgründung. 5. Auflage. Rudolf Haufe Verlag, Planegg/München 2009, 128 Seiten, ISBN 978-3-448-10157-7
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.