Merger mit System
Fusionen scheitern. Immer wieder. Weil sie mit betriebswirtschaftlichem Operationsbesteck unter Zwangsnarkose vollzogen werden. Da hilft der Rat des Ethnologen: Wenn zwei Unternehmen zu einem werden sollen, ist das wie das Zusammentreffen fremder Kulturen. Lehrreich.
Die Zahl ist bekannt: 2009 fanden weltweit 53 Prozent weniger Abschlüsse in der Mergers & Acquisitions-Branche (M&A) statt als im Rekordjahr 2007. Dennoch verbreiteten viele Wirtschaftsdienste am Ende des Krisenjahres Optimismus: Auch wenn die Deals kleiner würden, 2010 würde es besser. Das bestätigen die Statistiken und Branchenexperten nun. Aber sie sagen auch: 70 Prozent aller Mergers verfehlen nach wie vor ihr Ziel. Sie gehen schief, vernichten Wert. Ein spektakuläres Beispiel, noch vor der Krise: DaimlerChrysler.
Einer, der davon ein Lied zu singen weiß, ist Bernhard Krusche. Der Organisationsberater hat einige Jahre als interner Berater bei Mercedes gearbeitet und dürfte einiges dazu zu sagen haben, warum so viele Unternehmenshochzeiten schiefgehen. Liest man sein Buch Merger? Merger!, mag man allerdings auch zu dem Glauben kommen, es liege nicht zuletzt an der Literatur zum Thema - von der es seiner Ansicht nach viel zu wenig gibt. Und von dem, was da ist, hält Krusche offenbar nur wenig. Das macht er gleich zu Beginn deutlich, wenn er schreibt, es gehe in seinem Buch nicht um die sonst üblichen "Tipps & Tricks, wie mit den Herausforderungen solcher Zusammenschlüsse möglichst effizient umzugehen sei".
Systemtheoretisch informierter Blickwinkel
Hierin liegt das Problem. Denn Mergers würden, so Krusches Kritik, zu oft aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht gesehen. Man müsse Unternehmen aber auch als sozialen, besser kommunikativen Zusammenhang verstehen. Hinzu kommt: Auch geforscht werde zu wenig - ebenfalls ein Problem, denn ohne ordentlichen theoretischen Unterbau müsse die Sache schiefgehen. Immer wieder betont Krusche die Wichtigkeit einer zugrunde liegenden umfassenden Theorie, vor der Handlungen immer wieder überprüft werden könnten.
Er findet diese Theorien in der Arbeit des Wirtschaftswissenschaftlers Stephan Jansen und übernimmt dessen Grundhaltung, wie dieser sie 2004 in seinem Buch Das Management von Unternehmenszusammenschlüssen dargelegt hat: M&A-Prozesse müsse man "aus der Reduktion auf rein betriebswirtschaftliche Aspekte [...] lösen und mit einem möglichst weit gefassten, systemtheoretisch informierten Blickwinkel einfangen".
So weit, so theoretisch untermauert. Aber wo bitte geht’s zur Praxis? Da beruhigt Krusche: "Angelegt ist dieses Buch als eine Mischung aus theoretischen Betrachtungen und Praxisbericht." Die Praxis kommt aus der breit dargestellten Fallstudie des Mergers zwischen den Telekommunikationsriesen Alcatel und Lucent, die 2006 beschlossen, eine Ehe einzugehen. Diesen Merger begleitete Krusche als externer Berater. Und er, der vor seiner Karriere als Wirtschaftsdozent und freier Organisationsberater als Ethnologe in Afrika arbeitete, vergleicht seine Mitwirkung an diesem Prozess explizit als "teilnehmende Beobachtung".
Dieses Konzept stammt aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts und reflektiert die sehr dynamischen und nur schwer von klaren Positionen aus beschreibbaren Beziehungen, die ein Forscher mit seinem "Subjekt" eingeht, während er zugleich dessen Leben teilt. Das kann man erweitert auf Beratungssituationen übertragen: Kunden und Berater sind Akteure in einem Prozess, den sie steuern (sollen), der sie zugleich aber auch steuert, im Griff hat, verändert. Das ist eine schwierige, nun ja, Dichotomie, für die das menschliche Gehirn vielleicht gar nicht besonders gut ausgelegt ist. Und aus seinem ursprünglichen Arbeitsfeld entleiht sich Krusche auch seine Arbeitshypothese. Der Ethnologe Gregory Bateson stellte sich im Anschluss an seine Feldforschungen auf Bali die Frage "was eigentlich genau passiert, wenn zwei vollkommen unterschiedliche Kulturen miteinander in Berührung kommen".
Schismogenese: Verhärtung von Trennendem
Tatsächlich stellt sich ja die gleiche Frage bei einem Merger. Und nachdem Krusche eine ganze Batterie an soziologischen Theorien aufführt - unwillkürlich greift die Hand zum guten alten Luhmann - stellt er schließlich die These auf: Es ist großer Unsinn, zu glauben, man könne auf Befehl aus zwei Organisationen eine machen. Je öfter es von oben tönt: In genau zwei Monaten werden wir alle zur selben Firma gehören, umso stärker werden die Bemühungen der vorhandenen, "ursprünglichen" Kulturen sein, ihr altes Profil zu behalten: Abgrenzung statt Integration, Verharren statt Weiterentwicklung - und letztendlich ist das Scheitern des Mergers die Folge. Krusche spricht von Schismogenese, also der Entstehung und Verhärtung von Trennendem.
Wie Alcatel und Lucent dennoch auf einen guten Weg gekommen sind, davon erzählt Krusche in erstaunlicher Offenheit. Erstaunlich deshalb, weil auch die Fehler, Sackgassen und gerade noch gekriegten Kurven beschrieben werden. Dabei sei es dem Leser überlassen, sich durch die sehr dichte Mischung aus Praxisbericht und theoretischer Reflexion zu arbeiten. Wichtig ist die zentrale Erkenntnis, dass mit von oben herab verkündeten Merger-Plänen wenig erreicht wird. Krusche beschreibt, wie das schon nach wenigen Monaten zu Widerständen und einem zeitweiligen Stopp des Prozesses führte - nicht zuletzt, weil es irgendwann selbst innerhalb der eigentlich prozessführenden HR-Abteilung zum Schisma kam.
Doch durch die Reflexion der Vorgänge vor dem Hintergrund der Überlegungen von Bateson konnte dieser Prozess aufgefangen werden. Die Lösung lag, wie so oft, in besserer Kommunikation von oben nach unten, institutionalisiertem Feedback nach oben und größerer Umsetzungsfreiheit der einzelnen Unternehmensteile. Letztendlich half das Bild vom gemeinsamen Freund - dem Kunden - und dem gemeinsamen Feind - dem Wettbewerb -, Gruppengefühl zu erzeugen. Und Krusche fordert, manche "alte" Strukturen zu erhalten - im neuen Unternehmen ergänzen sie sich dann gegenseitig und entwickeln sich vielleicht zu etwas ganz Neuem.
Diese Instrumente mögen nicht gerade revolutionär erscheinen. Aber es ist das Verdienst des Buches, eindrucksvoll darzustellen, wie wichtig ein fundierter soziopsychologischer Unterbau für die Steuerung von Veränderung ist. Und es zeigt, wie fruchtbar es sein kann, Orientierung in ganz anderen theoretischen Feldern zu suchen.
Ein Muss für Manager mit Tiefgang
Hat man sich einmal daran gewöhnt, dass es sich beim vorliegenden Buch nicht um einen Häppchenratgeber handelt, sondern in großen Teilen um eine wissenschaftliche Abhandlung, wird man es kaum mehr aus der Hand legen wollen. Denn die Verbindung von theoretischer Aufarbeitung und praktischer Beschreibung ist spannend und packend. Auch wenn man als Rezensent eigentlich den Klappentext nicht zitieren soll: Jürgen Gleisberg, HR Director Services der Alcatel-Lucent Deutschland AG, bringt es so schön auf den Punkt: "Für Führungskräfte, die sich ... mit den zugrunde liegenden Dynamiken eines Fusionsprozesses auseinandersetzen wollen, ist dieses Buch ein Muss."
changeX 12.01.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch auf der Verlagsseitewww.carl-auer.de
Zum Buch
Bernhard Krusche: Merger? Merger!. Fusionsprozesse verstehen und gestalten. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2010, 203 Seiten, ISBN 978-3-89670-716-1
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.