Küsschen! Küsschen?
Interkulturelle Ratgeber erschöpfen sich zumeist in Tipps über angemessenes Verhalten in interkulturellen Business-Situationen. Küsschen, ja oder nein? Doch es geht um mehr. Um eine dynamische Haltung: Wissen über eine Kultur zu verbinden mit einer offenen, lernbereiten Einstellung ihr gegenüber.
Eine Französin und ein Deutscher treffen sich auf einem Business-Meeting. Der Deutsche will alles richtig machen und begrüßt die französische Gesprächspartnerin mit herzhaften Küsschen auf die Wange. Doch Überraschung: Anstatt das Eis zu brechen, verhärtet diese Begrüßung das Klima eher. Die Französin reagiert kühl und zieht sich zurück.
Der Grund: In Frankreich sind Wangenküsschen links und rechts zwar die übliche Begrüßungsform - doch ohne Hautkontakt! Die Französin wird diese Aktion vor der Folie ihres kulturellen Hintergrunds daher als Übergriff in ihre Privatsphäre interpretieren. Der Deutsche aber ist verwirrt und macht nun seinerseits einen Rückzieher.
Solche und ähnliche Schwierigkeiten beeinträchtigen häufig die Funktionsfähigkeit interkultureller Business-Teams. Fettnäpfchen und Fehlinterpretationen stören den Umgang miteinander und setzen eine Abwärtsspirale in Kooperationsklima und -effektivität in Gang. Die vom Management gesetzten Zielmarken rücken in weite Ferne. Was tun?
Rahmenmodell der Navigation
Jedenfalls nicht den Kopf in den Sand stecken und jammern: "Warum müssen immer wir uns anpassen?" Rät Ute Clement in ihrem Ratgeber Kon-Fusionen. Über den Umgang mit interkulturellen Business-Situationen. Eine unproduktive Haltung, hinter der sich Ethnozentrismus verberge. Sie empfiehlt dagegen, mit einer offenen Haltung auf kulturelle Unterschiede einzugehen - auch wenn diese groß sind - und zu lernen, "wie man flexibel reagieren und die eigene Wahrnehmung der Welt als relativ und nicht gottgegeben ansehen kann". Dann ist es möglich, Gemeinsamkeiten zu schaffen. An dieser Stelle verortet Clement den Arbeitsauftrag interkultureller Trainings: "Die Aufgabe interkultureller Beratung ist es, einen gemeinsamen Interpretations- und Bezugsrahmen herzustellen."
Wie dies gelingen kann, davon handelt ihr Buch, das das interkulturelle Zusammenspiel mit dem Rüstzeug des systemischen Ansatzes ausstattet. Die Dos und Don’ts der üblichen interkulturellen Ratgeber mit ihren Informationen zu einzelnen Kulturkreisen reichen da nicht mehr aus: Sie sind zu statisch, bieten keinen Raum für Entwicklung und gehen nicht auf Veränderungen und regionale Unterschiede innerhalb von Kulturen ein. Auch der Ansatz der Cultural Awareness greift laut Clement zu kurz, da er keine Handlungsoptionen bietet. Mit ihrem Metamodell will sie beides ermöglichen und Wissen über eine Kultur, eine Region, eine Unternehmenskultur verknüpfen mit einer offenen, lernbereiten Haltung ihr gegenüber. So schafft sie ein "Rahmenmodell der Navigation", das dynamische Entwicklungen in interkulturellen Teams möglich macht.
Eine Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, neue Verhaltensweisen wie Style Switching, den Wechsel eigener Verhaltensmuster, zu lernen. Dazu muss man die eigene Kultur und die eigenen, von ihr geprägten Verhaltens- und Interpretationsweisen gut kennen. Ein großer Teil des Buchs befasst sich daher mit "deutschen Irritationen": Hier werden die Erfahrungen, die Deutsche und Geschäftspartner anderer Kulturen miteinander machen, ausgeleuchtet. Es geht um Faktoren wie den Umgang mit Zeit, Status, Hierarchien, Missständen, Kritik.
Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung
Wie stets beim systemischen Ansatz geht es auch in diesem Ratgeber darum, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung zu schärfen und Tools zur Selbsthinterfragung und inneren Ursachenforschung zu liefern, wenn Gefühle wie Ärger oder Irritation auftauchen. Clement zeigt anhand vieler Beispiele, wie einerseits interkulturelle Zusammenarbeit gründlich schiefgehen kann - und wie sich andererseits neue Informationen und Verhaltensweisen erfolgreich in die eigene Persönlichkeit integrieren lassen. Auf dass sich die Abwärtsspirale der Emotionen in eine positive Wissensspirale verwandle. Ein lesenswertes Buch.
changeX 10.06.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Ute Clement: Kon-Fusionen. Über den Umgang mit interkulturellen Business-Situationen. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2011, 150 Seiten, 29.00 Euro, ISBN 978-3-89670-767-3
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Annegret NillAnnegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.