Alte Tante Sparsamkeit
Sorgloser Umgang mit der Staatsverschuldung prägt unsere Zeit. Nun stehen nicht nur einzelne, wirtschaftsschwache Volkswirtschaften am Abgrund zum Staatsbankrott. Der bedroht größere Teile der Welt, sagen zwei Autoren in ihrem für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis nominierten Aufklärungsbuch.
Warum nur können Politiker "ihre Finger nicht aus dem Schuldenkekstopf" lassen? Anders gefragt: Wie kann es sein, dass wir rund um die Welt von Staaten mit immensen Schulden umgeben sind, mittlerweile jeder Erstklässler die Wörter "Eurokrise" und "geordnete Insolvenz" kennt und kein Mensch - und schon gar kein Politiker - weiß, wie wir all die Schulden wieder loswerden sollen? Mit dieser Frage steigen der bekannte Wirtschaftspublizist und -professor Hanno Beck und der Münsteraner Professor für Finanzwirtschaft Aloys Prinz in ihr Buch Abgebrannt ein. Der Titel sagt nun wirklich alles - es geht den beiden um Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps.
Nun ist dies sicher nicht die erste, mit allem Recht höchstbesorgte Darstellung des Systems aus Schuldenmachen und nachfolgendem Schuldenfinanzieren per Schulden, mit dem sich nicht nur Deutschland, nicht nur die Europäische Union auf Generationen hinaus in den Status von Dauerabstotterern und Staatsbankrotteuren begeben hat. Wenn wir ehrlich sind, wissen (oder ahnen) wir das ja im Grunde auch schon alles: Wir stehen vor einem Schuldenloch beängstigender Ausmaße.
Eben deshalb tut Aufklärung not. Und deshalb ist dieses Buch mehr als pure Angstmacherei, und es liefert auch keine einfachen Rezepte. Das fängt schon beim differenzierten Umgang mit dem Konzept Schulden an. Denn der Frage, wieso Politiker rund um den Globus der Verlockung des Schuldenmachens so schwer widerstehen können, setzen die Autoren auch die Feststellung entgegen: Nicht alle Schulden sind schlecht! "Man leiht sich Geld, um es zu investieren, und aus den Erträgen der Investition zahlt man den Kredit nebst Zinsen zurück."
Schulden machen, um Schulden zu bezahlen
Damit setzen die Autoren den Ausgangspunkt für ihre Betrachtung des fatalen Schuldensystems, dem wir mittlerweile alle ausgesetzt sind. Denn gehalten hat sich trotzdem noch kaum ein Staatsoberhaupt an die simple Einsicht, dass sich Schulden auch lohnen müssen. Schulden waren und sind traditionell dazu da, andere Schulden zu bezahlen.
Und wenn das nicht mehr funktioniert, heißt es eben: Wir sind bankrott. Eindrucksvoll schildern Beck und Prinz den Bankrottweltmeister Philipp II. von Spanien. Der brachte es in seiner Regierungszeit immerhin auf vier Staatsbankrotte - 1557, 1566, 1575 und 1596. Und riss damit nicht nur sein Land immer wieder in den finanziellen Abgrund, sondern sorgte auch für den Zusammenbruch diverser Geldhäuser in Florenz und anderswo in Europa. Doch ob im Spanien des frühen Mittelalters oder im Griechenland des 21. Jahrhunderts: Letztendlich, so eine Grundthese der Autoren, ist es immer ungezügeltes Ausgabeverhalten des Staates, das zur Schuldenkrise führt. Sparsamkeit ist angesagt, nicht Einstellung der Kreditaufnahme. Und wie dies zu bewerkstelligen ist, dazu machen Beck und Prinz konkrete Vorschläge.
Zunächst jedoch, und das ist erklärte (und eingelöste) Absicht, nehmen sie den wirtschaftlich interessierten Leser mit auf eine lange Reise nicht nur in die Geschichte der Staatsverschuldung - und deren, so will’s scheinen, teleologischen Schlusspunkt Staatsbankrott. Sondern auch auf einen Parforceritt durch jene Begrifflichkeiten der Staatsfinanzen, mit denen selbst der ökonomisch grundgebildete Zeitgenosse zuweilen seine Schwierigkeiten haben mag - "ohne Fachjargon, Formeln und Grafiken, verständlich für alle".
Wie misst man zum Beispiel überhaupt die Schulden eines Staates? Taugt dazu die Schuldenquote, also das Verhältnis der Schulden zum aktuellen Bruttoinlandsprodukt? Oder ist vielleicht die Defizitquote eine bessere Größe, die die nötige Neuverschuldung zur Deckung des Staatsdefizits ins Verhältnis zur aktuellen Wirtschaftsleistung setzt? Oder: Was sind eigentlich implizite Schulden?
Ganz einfach. Schulden, die in keiner Statistik und in keinem aktuellen Wirtschaftsbericht auftauchen, wie zum Beispiel Beamtenpensionen. Die sind zwar irgendwann fällig - und man sollte dafür eigentlich Rücklagen bilden -, in die zukünftige Verschuldung werden sie aber nicht einberechnet. Täte man das, so käme man im Fall Deutschlands nicht auf eine Schuldenquote von rund 70 Prozent, sondern auf sagenhafte 300 Prozent. Was nichts ist zu den 500 Prozent im Falle Englands. Doch: Wie sollen wir das je bezahlen?
Wer soll das bezahlen ...?
Es ist schon ein zunächst sehr deprimierendes Panorama, das die Autoren da entwerfen. Und da ein Buch über den Staatsbankrott in diesen Zeiten immer ein Buch über die Eurokrise ist, räumen sie auch der desolaten Lage der europäischen Währung breiten Raum ein. Ganz nebenbei wird noch einmal die Entstehung der aktuellen Krise beschrieben, und die Autoren machen keinen Hehl daraus, dass auch sie es für einen Sündenfall halten, Griechenland, so wie es geschah, Finanzhilfen zu gewähren. Und sie versäumen es nicht, die Bandbreite der Möglichkeiten zu diskutieren, die einer auf halbem Weg stecken gebliebenen Währungsunion überhaupt zur Verfügung stehen, zu große makroökonomische Ungleichgewichte auszutarieren.
Ob mehr Integration durch mehr Koordination und Absprache, ob direkte Intervention eines europäischen Wirtschafts- oder Finanzministeriums, ob Automatismen in der Sanktion von Verstößen gegen Maastricht- und sonstige Kriterien - keinen Zweifel lassen Beck und Prinz an ihrer Ansicht, dass all diese Instrumente immer nur daran ansetzen, nicht noch mehr Schulden zu machen. Wo es doch ausdrücklich gute Schulden gibt. Weswegen sie auch der deutschen Schuldenbremse kein uneingeschränktes Lob erteilen, denn sie verhindere eben jene "Investitionsschulden". Die Autoren setzen stattdessen auf eine ihrer Ansicht nach viel zu selten diskutierte Option: die Sparsamkeit.
"Statt die Schuldenaufnahme zu begrenzen, sollten wir die Freiheit des Staates auf der Ausgabenseite begrenzen", heißt es im letzten (und entscheidenden) Kapitel. Vorgeschlagen wird ein Mechanismus, nach dem die Staatsausgaben - auch für Neuverschuldungen - nicht schneller steigen dürfen als das konjunkturbereinigte Bruttoinlandsprodukt. Dieses Modell hätte den Vorteil, in Zeiten des Abschwungs konjunkturstützende Maßnahmen nicht zu verhindern, in Zeiten des Aufschwungs hingegen allzu sorglosem Umgang mit (nicht nur kreditfinanzierten) Staatsausgaben einen Riegel vorzuschieben.
Leicht wird es nicht
Illusionen geben sich Beck und Prinz allerdings nicht hin. Deutlich heißt es, man müsse "damit rechnen, dass alle Regelbindungen nur in dem Maße eingehalten werden, wie es der Stabilitätskultur der Politiker entspricht". Ist also doch keine Hoffnung? Leicht zumindest wird es nicht. Was immer in den kommenden Jahren auf Deutschland, auf Europa und die ganze Welt zukommt, man werde die Wahl zwischen "Pest und Cholera, zwischen Not und Elend" haben.
Vielleicht bedarf es solcher drastischen Worte, um die Lage zu verdeutlichen und die Bereitschaft zu wecken, sich erst einmal mit den Fakten auseinanderzusetzen. Die Hoffnung liegt also in der Aufklärung und im Selbstbewusstsein der Bürger "die das alles bezahlen müssen". Allerdings nur, wenn "wir beginnen, diese Erkenntnis auch an der Wahlurne umzusetzen, statt uns mit billigen Slogans, plumper Polemik und falschen Versprechungen abspeisen zu lassen". Die Zukunft liegt bei uns. Herrschaftszeiten, wir haben es ja immer geahnt!
Abgebrannt steht auf der Shortlist für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2011
Welches ist das beste Wirtschaftsbuch des Jahres? Das Handelsblatt präsentiert zusammen mit der Frankfurter Buchmesse und der Investmentbank Goldman Sachs die Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises 2011. Mit der Nominierung des Titels Abgebrannt. Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps von Hanno Beck und Aloys Prinz startet der neue Programmbereich WISSEN - WIRTSCHAFT - WELTGESCHEHEN bei Hanser in den Herbst.
Insgesamt zehn Bücher haben es auf die Shortlist zum begehrten Deutschen Wirtschaftsbuchpreis geschafft. Allen gemeinsam ist, dass sie dazu beitragen, Wirtschaft verständlicher zu machen. Der Deutsche Wirtschaftsbuchpreis wird vom Handelsblatt, der Investmentbank Goldman Sachs und der Frankfurter Buchmesse verliehen. Der Gewinner wird am 13. Oktober 2011 auf der Frankfurter Buchmesse bekannt gegeben.
changeX 19.09.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch auf der Verlagsseite:www.hanser.de/...
Zum Buch
Hanno Beck, Aloys Prinz: Abgebrannt. Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps. Carl Hanser Verlag, München 2011, 288 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-446-42697-9
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Autor
Jost BurgerJost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.