In der Bestätigungsfalle
Kognitive Verzerrungen sind systematische Denkfehler. Sie sind in unserem Denken fest verankert und betreffen uns alle. Das hört freilich niemand gern. Aber weil sie grundlegender Natur sind, behindern sie uns Menschen darin, die Welt richtig zu erfassen. Schränken uns in unserem Denkvermögen ein. Ein Autor sagt: Wir haben die Verantwortung, gut zu denken. Und fordert eine Denkwende.
Von Natur aus ist der Mensch ein eher schwaches Lebewesen. Fast nackt, nicht besonders kräftig, kann nicht schnell rennen, nicht gut schwimmen, nicht hoch springen und fliegen schon gar nicht. Ein Mängelwesen. "Das Einzige, was uns bleibt, ist unser Gehirn - und unsere Gabe, besser zu denken als der Rest auf dieser Welt", schreibt Henning Beck. Warum uns das mit dem gut Denken gleichwohl nicht recht gelingen mag und wie wir dennoch unsere Denkfähigkeit verbessern können, davon handelt das neue Buch des Bestsellerautors und promovierten Neurowissenschaftlers. Darin geht es um Fragen wie diese: Warum wir die Welt immer wieder falsch erklären, warum wir uns die Zukunft meist anders vorstellen, als sie dann eintritt, warum wir uns nichts verbieten lassen und uns so gerne in unseren Denkweisen bestätigen und nicht hinterfragen wollen. All das kognitive Verzerrungen.
Einfach gesagt ist eine kognitive Verzerrung - englisch cognitive bias - ein systematischer Denkfehler. Solche Fehler sind in unserem Denken fest verankert und betreffen uns alle. Doch das hören wir nicht gern. Obwohl sie grundlegender Natur sind, genießen kognitive Verzerrungen nicht den Stellenwert, der ihnen zukommen sollte. Wo wären sonst die Kurse und Trainings in Firmen, Volkshochschulen, im Studium, der Platz in den Curricula? Offenbar denkt jede(r), nur die anderen hätten das - doch auch das ist nur eine kognitive Verzerrung. Oder könnte es sein, dass die mangelnde Resonanz auch damit zu tun hat, wie diese Denkfehler meist präsentiert werden, und mit ihrer Zahl. Die nämlich ist sprunghaft gestiegen, seit der Denkpsychologe Peter Wason im Jahr 1960 mit dem Bestätigungsfehler den ersten cognitive bias beschrieben hat, und entsprechend unübersichtlich ist das Feld. Der Autor Henning Beck unternimmt nun den lobenswerten Versuch, das Thema in einer anschaulichen Form zu präsentieren. In seinem Buch spürt er verbreiteten Denkfehlern nach - in Politik und Gesellschaft und bei uns allen.
Ob der Verlag allerdings mit dem plakativen Titel 12 Gesetze der Dummheit diesem Anliegen einen guten Diest erwiesen hat, kann bezweifelt werden. Die Vielzahl kognitiver Verzerrungen, die bislang von Psychologie, Neuro- und Verhaltenswissenschaften beschrieben worden sind, anschaulich in zwölf Kapiteln zusammenzufassen, ist eine beachtliche Leistung. Gesetze werden dennoch nicht daraus. Überhaupt ist die Zeit, da man versucht hat, den Menschen auf einfache Gesetzmäßigkeiten zu reduzieren, offensichtlich vorbei. Und das neue Menschenbild ist unübersichtlich und voller Widersprüche. Dem stellt sich Henning Beck und findet mit seiner narrativen und verflochtenen Darstellungsweise eine adäquate Antwort auf die Unübersichtlichkeit der Sachlage. Stichworte wie Bürokratisierung, Demokratie, Entscheidungen, Optimismus, Protest, Risiko, Verzicht und Wachstum illustrieren dabei das breite Spektrum der angesprochenen Fragen. Die Darstellung zerfasert dabei nicht, sondern findet immer die verbindende Linie. Kurzum: Eine exzellente Darstellung mit hohem Erkenntniswert.
Ein erster Schritt zu besserem Denken
Anders als der Titel vielleicht vermuten lässt, geht es dem Buch nicht darum, den Menschen (oder direkter noch: den Leser) in seiner Dummheit vorzuführen. Henning Becks Argument zielt in eine andere Richtung. Dummheit meint nicht, dass wir nicht intelligent genug wären, "sondern dass wir unsere Denkfähigkeit nicht sinnvoll oder wider besseres Wissen einsetzen", schreibt er. Eben weil Denkfehler und kognitive Verzerrungen uns darin behindern, die Welt richtig zu erfassen. Und wenn der Mensch schon ein Mängelwesen ist, so das eingangs angeklungene Argument, dann muss er das Einzige, worin er leidlich gut ist, verbessern: das Denken: "Wir haben die Verantwortung, gut zu denken. Das ist unser evolutionäres Erfolgsmodell", schreibt Beck. Es ist also ein aufklärerischer Impetus, der ihn treibt: unser Denken zu verbessern, indem wir uns über die kognitiven Stolpersteine klar werden, die uns in unserer Denkfähigkeit einschränken und unsere Wahrnehmung vernebeln. So sei "schon das Wissen über den Bestätigungsfehler ein erster Schritt zu besserem Denken", schreibt der Autor mit Blick auf eine der kognitiven Verzerrungen. Die wohl wichtigste. Das erste von zwei Beispielen aus dem Buch.
Die Bestätigungsfalle
Der Bestätigungsfehler oder confirmation bias besagt, "dass wir uns immer in unserem Denkweisen bestätigen und nicht hinterfragen wollen". Menschen neigen dazu, Informationen so zu verarbeiten, dass sie ihre eigenen Überzeugungen bestätigen. Dieser Denkfehler liege "praktisch unserem gesamten Leben zugrunde"; die "Bestätigungsfalle" sei ein "Metafehler" der die Grundlage einer Vielzahl menschlicher Irrationalitäten bilde, schreibt Beck im Einklang mit aktuellen Forschungen.
Die Zusammenhänge sind offensichtlich: So denken Menschen gern, dass ihre Ansichten völlig nachvollziehbar seien und deswegen von allen anderen geteilt würden. Die Interpretation der Welt zielt auf die Bestätigung dessen, was man denkt und dient der Herstellung einer konsistenten Weltsicht. Für gesellschaftliche Veränderungsprozesse bedeutet das, dass Menschen sowohl für rationale Sachargumente wie für apokalyptische Zukunftsbilder nur wenig empfänglich sind. Dazu gleich mehr.
Falsche Vorstellungen über die Zukunft
Beispiel zwei: Auch unser Bild von der Vergangenheit und unsere Vorstellung von der Zukunft sind vom Wunsch nach Konsistenz geprägt. Beim Blick zurück erscheinen die Entwicklungen in der Vergangenheit auf einmal stringent und plausibel - der Rückschaufehler. Und entsprechend schreiben wir beim Blick nach vorn die Trends der Vergangenheit unhinterfragt in die Zukunft fort. Zudem glauben Menschen, dass sie sich in Zukunft weniger verändern würden, als es bisher der Fall war. Und sie haben Schwierigkeiten, sich die eigene Person in der Zukunft vorzustellen. Vielmehr imaginieren sie ihr zukünftiges Ich als eine fremde Person.
Beck fasst zusammen: "Wir denken sowohl über die Vergangenheit als auch über die Gegenwart und die Zukunft falsch. Wir ziehen falsche Schlüsse aus dem Gestern, schätzen uns im Heute falsch ein und machen uns über die Zukunft falsche Vorstellungen."
Für eine Denkwende
Diese Beispiele illustrieren zugleich das Konstruktionsprinzip des Buchs. Anders als andere Publikationen, anders auch als entsprechende Zusammenfassungen und grafische Darstellungen im Internet handelt das Buch nicht bloß in lexikalischer Manier einen Denkfehler nach dem anderen ab. Vielmehr versucht es, Zusammenhänge herzustellen und Verbindungen herauszuarbeiten - zwischen den einzelnen Denkfehlern ebenso wie zu brennenden Themen in Politik und Gesellschaft: von der Neigung politisch Verantwortlicher, im Prinzip richtige Entscheidungen als gesetzlichen Zwang zu konzipieren bis hin zu Protesten, die das eigene dystopische Zukunftsbild zur Leitlinie machen und Protest als Kampf inszenieren. Überhaupt lässt sich dieses Buch als Generalkritik an den Klimaprotesten, insbesondere jenen der "Letzten Generation", wie auch an der Umsetzung mancher klimapolitischer Maßnahmen (siehe Heizungsgesetz) sowie an der generellen Orientierung breiter Teile der umweltpolitischen ökologischen Bewegung lesen.
Gute Protestformen, so der Autor, kämpfen hingegen nicht gegen die Mehrheitsmeinung an, sondern bringen diese von Innen zum Kippen. Die Lehre, die er daraus zieht, illustriert zugleich die reflexive Form, die es braucht, damit das Wissen um kognitive Verzerrungen unser Denken verbessern kann: "Will man die Welt verändern, muss man davon ausgehen, dass die eigene Sichtweise ungeeignet ist, um andere zu überzeugen", schreibt er. "Der eigentliche Wechsel muss in unserem Denken erfolgen".
Eine Denkwende, die dringend geboten ist, weil unsere verzerrte Wahrnehmung - wenn wir nicht lernen, sie zu korrigieren - Egoismus und Narzissmus befördert und eine Verständigung wie eine kollaborative Zusammenarbeit be- oder gar verhindert.
Zitate
"Wir haben die Verantwortung, gut zu denken. Das ist unser evolutionäres Erfolgsmodell." Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit
"Je eher Menschen glauben, etwas zu verstehen, desto größer ist die Gefahr, dass sie es eben nicht tun. Oder anders gesagt: Dummheit nimmt zu, je mehr man glaubt, schlau zu sein." Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit
"Wir Menschen sind nicht so klug, wie wir glauben." Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit
"Menschen sind notorisch schlecht darin, sich die Zukunft vorzustellen. Wir schreiben Trends bedingungslos in die Zukunft fort - und wir interpretieren Sie auch noch falsch." Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit
"Will man die Welt verändern, muss man davon ausgehen, dass die eigene Sichtweise ungeeignet ist, um andere zu überzeugen." Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit
"Der Grund, optimistisch sein zu sollen, liegt vielmehr darin, dass optimistische Menschen Probleme lösen, indem sie sich mit ihnen beschäftigen. Folglich verändern Sie die Problematik und kommen dadurch auf neue Ideen." Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit
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Kognitive Verzerrungen: Seit Peter Wason im Jahr 1960 den Bestätigungsfehler erstmals beschrieben hat, ist die Zahl solcher kognitiven Verzerrungen sprunghaft gestiegen. Entsprechend unübersichtlich ist das Feld. Einen tabellarischen Überblick bietet Wikipedia, ebenso eine grafische Übersicht
- Liste kognitiver Verzerrungen
- Cognitive bias codex
Zum Buch
Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit. Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen in der Politik und bei uns allen verhindern. Econ Verlag, Berlin 2023, 256 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-430211024
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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