Stopp, andere Perspektive
Ob beruflich oder privat: Häufig hindern uns festgefahrene Denkmuster und eingeschränkte Blickwinkel daran, unsere Persönlichkeit weiterzuentwickeln und konstruktiv mit anderen zu interagieren. Der Perspektivenwechsel ist ein wirkungsvoller Weg aus dieser inneren Sackgasse. Sagt der Wirtschaftspsychologe Klaus Vollmer.
Klaus Vollmer arbeitet seit 20 Jahren als Wirtschaftspsychologe, Berater und Coach in Essen. In seinem Buch Perspektivenwechsel als Methode - erschienen im Beltz Verlag - verpackt er psychologische Theorien, Modelle und Methoden in konkrete und bildhafte Beispiele und gibt Handlungsempfehlungen.
Herr Vollmer, Perspektivenwechsel als Methode heißt Ihr Buch - Methode wofür?
Eine Methode für die vielfältigsten Bereiche des Lebens: Sie hilft dabei, innere Blockaden abzubauen, aus überholten Mustern auszubrechen, Ängste zu überwinden und die persönliche Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem verbessert sie das Zusammenleben und Zusammenarbeiten.
In den zwanzig Jahren als Coach habe ich eines festgestellt: Wir stehen uns viel zu oft selbst im Weg. Der Perspektivenwechsel gibt uns Strategien an die Hand, um Situationen aus anderem Blickwinkel zu sehen. Damit bauen wir der Sackgasse im Kopf eine Ausfahrt. Und schaffen die Voraussetzung für ganz neue ungeahnte Möglichkeiten und Lösungen.
Was kann ein Wechsel der Perspektive bewirken?
Was mich an der Methode so begeistert, ist, dass ich sie in ganz unterschiedlichen Situationen wirkungsvoll einsetzen kann: Wenn ich in meinem eigenen destruktiven Gedankenkarussell gefangen bin oder wenig nützliche Emotionen mir das Leben schwer machen, ermöglicht mir der Perspektivenwechsel die notwendige innere Distanz. Dadurch kann ich wieder auf meine Stärken und Ressourcen zugreifen.
Im Kontakt oder auch im Konflikt mit anderen - ob privat oder beruflich - verschafft mir der Perspektivenwechsel die Möglichkeit, mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen. Ich kann es dann besser verstehen oder gegebenenfalls auch durchschauen, je nach Zielsetzung.
Und schließlich ist der Perspektivenwechsel ein nützliches Werkzeug in der Teamarbeit. Hier treffen unterschiedliche Charaktere aufeinander. Das ist für den Erfolg notwendig, führt aber häufig zu Konflikten. Mit Blick auf die verschiedenen Sichtweisen und Präferenzen arbeiten alle viel konstruktiver zusammen.
Wann ist ein Perspektivenwechsel sinnvoll? Oder gar geboten?
Spätestens, wenn ich merke, dass ich gedanklich feststecke, meine Gedanken immer wieder um dasselbe kreisen und ich das Gefühl habe, blockiert zu sein.
Im Gespräch mit anderen wird es spätestens dann Zeit, wenn sich das Klima spürbar abkühlt, zunehmend Vorwürfe das Gespräch bestimmen oder die Gefahr für folgenschwere Missverständnisse besteht.
Und überall dort, wo Verschiedenheit oder Diversity - wie immer wir es auch nennen - notwendig ist oder aufeinandertrifft: ob in der Team- oder Projektarbeit, in Führungsgremien, Familien, Schulen oder anderen gesellschaftlichen Kontexten.
Also überall dort, wo das Verstehen des anderen vor jeder weiteren Handlung stehen sollte.
Wie schafft man einen Perspektivenwechsel?
Ich bin überzeugt, dass jeder im Alltag den Perspektivenwechsel schon eingesetzt hat. Wenn ich allerdings seine vielfältigen Möglichkeiten nutzen und ihn bewusst in kritischen Situationen einsetzen möchte, muss ich zunächst eines tun: den Blick nach innen schärfen. In meinem Buch spreche ich vom "inneren Messfühler". Ich muss mir zwischendurch immer wieder klarmachen, was mir gerade durch den Kopf geht. Welche konkreten Gedanken oder auch inneren Dialoge führe ich? Wie geht es mir emotional? Wenn ich mich in dieser Weise selbst beobachten kann, habe ich die Voraussetzung dafür geschaffen, den Perspektivenwechsel bewusst zu nutzen, wenn ich ihn brauche.
Der konkrete innere Startschuss für den gezielten Wechsel der Perspektive sieht dann bei jedem anders aus. Für die einen reicht es aus, zu sich selbst zu sagen: "Betrachte die Situation mal aus einem anderen Blickwinkel." Andere wiederum nutzen eine bildhafte Unterstützung vor ihrem inneren Auge, zum Beispiel eine Filmklappe. Mit der Regieanweisung "Klappe, nächste Einstellung" können sie dann konkret eine andere Perspektive auf die Situation entwickeln.
Gibt es so etwas wie eine Grundregel für den Perspektivenwechsel?
Wenn ich die Methode wirklich auf eine einzige Grundregel herunterbrechen soll, dann lautet sie für mich: Es gibt nie nur die eine einzige richtige Perspektive.
Damit verschaffe ich mir die notwendige Offenheit, ohne meine eigene Sichtweise unterordnen zu müssen.
Welche Methoden können dabei helfen, die Perspektive zu wechseln?
Mit der Filmklappe habe ich es bereits angedeutet: Ich benutze im Buch Beispiele aus dem Filmbereich und spiele mit Techniken der Kamera, der Regie oder auch des Filmschnitts. Solche Vergleiche oder Metaphern helfen uns, den Perspektivenwechsel im Alltag einzusetzen. Vom Film kennen wir die verschiedensten Methoden für den Perspektivenwechsel. Die Kamera spielt mit unterschiedlichen Bildausschnitten: Mal sehen wir das Panorama, das Große und Ganze, mal nur die Details. Die Regie nutzt den Blick in die Vergangenheit, in die Zukunft oder dehnt die Gegenwart. Sie zeigt das farbige Glück, aber auch den grauen Alltag und schildert das Geschehen aus verschiedenen Erzählperspektiven. Und je nach Darstellung erleben wir die Situation völlig anders. Als Kameramann/-frau und Regisseur/in unserer eigenen Situationen können wir genauso verfahren.
Haben Sie eine Lieblingsmethode?
Ehrlich gesagt: Mir gefallen alle Methoden, die ich anführe, sehr gut - und besonders der spielerische Wechsel zwischen ihnen. Eine Technik setze ich allerdings häufig im Alltag ein, wenn mal etwas nicht so gut gelaufen ist: den Blick aus der Zukunft zurück. Ich frage mich dann: "Was wirst du wohl in einem halben Jahr über diese Situation denken?" Und dann werden die meisten Pannen des Alltags doch sehr klein.
Wer ein Problem hat, sieht oft nur noch das Problem. "Teufelskreis" oder "den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen" sind Bilder, die unsere Sprache dafür bereithält. Sie haben vom "Gedankenkarussell" gesprochen. Wie kann man in einer solchen Situation einen Perspektivenwechsel erreichen?
Hier ist ein gutes Frühwarnsystem mehr als die halbe Miete. Ich habe vorhin vom "inneren Messfühler" gesprochen. Je früher ich merke, dass ich mich im Kreis drehe, umso leichter wird es mir fallen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Mir selbst zu sagen: "Stopp, andere Perspektive!" Wenn wir erst einmal so richtig in Wallung gekommen sind, wird es sehr viel schwieriger, gegenzusteuern. Besser ist es, frühzeitig gedanklich in den Helikopter zu steigen, über die vielen Bäume zu fliegen und den ganzen Wald wieder in seiner Pracht zu sehen.
Noch mal ganz konkret: Wie erreiche ich einen Perspektivenwechsel, wo ich doch immer mehr in einer Perspektive gefangen bin?
Es gibt viele Möglichkeiten. Ich versuche, einige davon auf den Punkt zu bringen:
Sobald die ersten Gedanken kreisen, drücken Sie den inneren Startknopf für den Perspektivenwechsel. Wenn möglich sagen Sie laut und vernehmlich: "Stopp." Sollte die Situation das nicht zulassen, lassen Sie Ihre innere Stimme sprechen. Oder nutzen Sie gedanklich die vorhin beschriebene Filmklappe.
Wechseln Sie die Körperhaltung. Mit aufrechtem sicherem Stand, Blick nach oben und geraden Schultern lässt sich ein mutloser Blick auf die Welt kaum vereinbaren. Probieren Sie es aus!
Vergegenwärtigen Sie sich, dass es immer viele mögliche Perspektiven gibt, und dann gehen Sie auf die Suche nach der nützlichsten.
Blicken Sie in die Vergangenheit, auf ähnliche Situationen, die Sie erfolgreich gemeistert haben. Oder gehen Sie in die Zukunft, stellen sich vor, das Problem sei gelöst, und fragen sich, welche Schritte Sie dorthin gegangen sind.
Fragen Sie sich, welchen Blick auf die Situation Ihnen wohlmeinende Freunde empfehlen würden.
Wie lässt sich ein Perspektivenwechsel trainieren?
Seien Sie offen für Neues und bleiben Sie neugierig. Hören Sie Menschen mit anderen Ansichten - vielleicht auch aus anderen Kulturen - genau zu. Versuchen Sie zu verstehen, was sie zu ihrer Sichtweise veranlasst.
Vermeiden Sie es, sofort in den Bewertungsmodus zu schalten. Es geht auch nicht darum, eine andere Sichtweise zur eigenen zu machen. Jeder hat das Recht auf seine eigene Perspektive. Aber neue, bisher unbekannte Sichtweisen können uns bereichern. In meinem Buch habe ich 15 verschiedene Perspektiven beschrieben. Es lohnt sich, sie immer mal wieder bewusst einzunehmen, vom Advocatus Diaboli über Justitia bis hin zum Dalai-Lama. Ein sehr spannendes Training.
Warum ist es so wichtig, die Perspektive wechseln zu können? Worin liegt die Bedeutung? Ermöglicht das Vielfalt, Diversität?
Das Ermöglichen von Vielfalt und Diversität ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Ihm kommt innerhalb von Unternehmen und Organisationen, aber auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten eine immer größere Bedeutung zu. Vorhin haben wir bereits das Thema Team- oder Projektarbeit angesprochen. Aber auch uns selbst verschafft der Perspektivenwechsel ein wirkungsvolles Repertoire. Mit ihm können wir uns selbst steuern - und damit unsere Resilienz steigern. Ich persönlich halte die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel für eine wesentliche Kernkompetenz der heutigen Zeit.
Das Interview haben wir schriftlich geführt.
Zitate
"Es gibt nie nur die eine einzige richtige Perspektive." Klaus Vollmer: Stopp, andere Perspektive
changeX 06.06.2019. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Klaus Vollmer: Perspektivenwechsel als Methode. Strategien, Tools und Übungen zur Persönlichkeitsentwicklung. Mit Beispielen aus Film, Regie und Kamera.. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2019, 273 Seiten, 34.95 Euro, ISBN 978-3-407-36667-2
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changeX RedaktionEin Beitrag der changeX-Redaktion.