Expedition Arbeit
Beide sind Pionierorganisationen für neues Arbeiten im deutschsprachigen Raum. Nun bilden sie eine gemeinsame Community, um ihre Aktivitäten zu bündeln: AUGENHÖHE und intrinsify gründen "Expedition Arbeit", die Community zur Gestaltung der Arbeitswelt. Das Ziel: selbstbestimmtes, sinnstiftendes Arbeiten zu fördern und Organisationen zu lebendigen Orten zu machen. Von New Work sprechen sie eher nicht. Ein Interview mit zwei der Initiatoren.
Silke Luinstra ist Unternehmerin und Buchautorin. Gemeinsam mit Philipp Hansen ist sie Gründerin der Initiative AUGENHÖHE. Beide gehören der Geschäftsführung der AUGENHÖHEworks GmbH an und sind Mitinitiatoren der Community Expedition Arbeit.
"Wir wollen zeigen, dass eine andere, bessere Arbeitswelt möglich ist!" Das war die Mission, der ihr euch mit euren beiden Filmen gewidmet habt: AUGENHÖHE und AUGENHÖHEwege. Das war vor fünf, sechs Jahren. Danach seid ihr aus unserem Blickfeld verschwunden - bis Mitarbeiter der Südostbayernbahn, mit denen ich zum Thema Selbstorganisation zu tun hatte, erzählten, dass sie die Ausbildung zum AUGENHÖHEwegbegleiter besucht haben. War das zu eurem Arbeitsschwerpunkt geworden: die Weiterbildung von Menschen in Unternehmen?
Silke: Ja, das stimmt. Uns war aufgefallen, dass es noch keine fundierte Ausbildung gab, die Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung in Wechselbeziehung denkt. Es gibt sehr gute Ausbildungen und Angebote für das eine oder das andere, auch für beides zusammen, aber eben nicht in Wechselbeziehung. Das tut der AUGENHÖHEwegbegleiter. Inzwischen bieten wir diese Ausbildung nicht nur offen an, sondern arbeiten auch direkt für mehrere große Organisationen, die Gruppen exklusiv buchen. Das lief auch in den letzten 20 Monaten während der Pandemie weitgehend weiter. Was schwierig wurde, waren unsere größeren öffentlichen Veranstaltungen wie die AUGENHÖHEcamps, auch die regionalen Gruppen sind nur noch selten zusammengekommen.
Aber das Netzwerk, das ihr mit euren Filmprojekten aufgebaut habt, gab es neben euren Ausbildungen weiter?
Philipp: Die Community-Arbeit war uns immer ein Herzensanliegen! Die Energie, die bei den Premieren unserer Filme, den vielen "Film&Dialog"-Veranstaltungen und bei AUGENHÖHEcamps spürbar war, war frappierend - und hat viele Initiativen hervorgebracht. Trotz dieser wunderbaren Erlebnisse war aber immer wieder auch klar: Diese wertvolle Arbeit braucht einen passenden Rahmen und eine Finanzierung. Wir haben probiert, beides über einen gemeinnützigen Verein herzustellen, was nicht so geklappt hat wie erhofft: Vereinsarbeit ist mit hohem administrativem Aufwand verbunden, und gleichzeitig sind die Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Wir haben dann letztes Jahr beschlossen, den AUGENHÖHEcommunity-Verein wieder aufzulösen, da uns die Rechtsform des Vereins nicht geeignet erschien, die Community-Aktivitäten sinnvoll zu unterstützen.
Und wie kam dann intrinsify ins Spiel? "AUGENHÖHE plus intrinsify" - dieses Zusammengehen gab ja den Anstoß für dieses Interview …
Silke: In den letzten Jahren hatten intrinsify und AUGENHÖHE eigene Community-Aktivitäten. Das fühlte sich oft ein bisschen seltsam an: Wir sind uns in unseren Zielen sehr nah, auf den Veranstaltungen trafen sich immer auch viele, die in beiden Communitys aktiv waren. Auch wenn beide Gruppen unterschiedlich akzentuiert waren, lag die Frage in der Luft, weshalb das zwei Communitys sind. Nun gab es auch bei unserem befreundeten Netzwerk von intrinsify Fragen, welche rechtliche und organisatorische Form deren Community haben könnte. Sie wollten dann einen Verein gründen - während wir den unseren gerade aufgelöst hatten … Im Zuge eines Erfahrungsaustausches zu der Frage "Verein oder nicht Verein?" entstand dann die Überlegung, die Community-Aktivitäten von intrinsify und AUGENHÖHE unter einem gemeinsamen Dach zu bündeln. Wir haben das abgewogen, Mitglieder konsultiert und immer mehr Gefallen an der Idee gefunden.
Erzählt ihr was zum Hintergrund der beiden Organisationen?
Philipp: Das erste Projekt, ein Film mit Dialogkampagne, entstand ja bei einer Barcamp-Session auf einem intrinsify-Wevent. Seitdem hat sich AUGENHÖHE als ein dynamischer Organismus mit neuen Projekten stetig weiterentwickelt. intrinsify natürlich auch, wozu ich aber nicht so viel sagen kann. Im Prinzip sind AUGENHÖHE und intrinsify zwei Pioniere im deutschsprachigen Raum im Feld Zukunft der Arbeit - New Work nutzen wir als Begriff eher nicht mehr. Wir versuchen, mit unterschiedlicher Akzentuierung und unterschiedlichen Aktivitäten etwas dafür zu tun, dass immer mehr Menschen selbstbestimmt, sinnstiftend und wirksam arbeiten können. So unterscheiden sich auch unsere Ausbildungen, die wir anbieten, und unsere Beratungsansätze.
Warum nutzt ihr den Begriff New Work "eher nicht mehr"?
Silke: Wir fremdeln mit dem Begriff, weil unter diesem Etikett inzwischen so vieles subsumiert wird, was mit der ursprünglichen Idee von Frithjof Bergmann kaum noch etwas zu tun hat. Es fehlt vielfach das Denken in der gesellschaftlichen Dimension, New Work verkommt zum Optimierungsprogramm für Unternehmen. In meinem Buch spreche ich daher von "neuer Neuer Arbeit" …
… im Sinne von Frithjof Bergmann?
Silke: Der - leider kürzlich verstorbene - Philosoph hat den Begriff mit seinem Buch New Work New Culture ursprünglich geprägt. Er beschreibt darin einen tiefgreifenden Ansatz, unser jetziges Wirtschaftssystem weiterzuentwickeln. Oberflächliche Verbesserungen helfen dabei nicht. Bergmann hat mal in einem Interview gesagt, dass das, was gerade unter "New Work" läuft, lediglich Arbeit ein bisschen reizvoller macht, aber letztlich am System nichts verändert. Doch darum sollte es gehen.
Vor der Zwischenfrage waren wir beim Hintergrund der beiden Organisationen ...
Silke: Beide haben neben ihren "kommerziellen" Angeboten im Bereich Beratung und Ausbildung immer auch Community-Arbeit betrieben. Doch es ist systemisch kaum möglich, beides unter demselben Namen zu tun. Deswegen schlief die Community-Arbeit etwas ein, verstärkt nun noch durch die Beschränkungen im Zusammenhang mit Corona. Doch die Community-Arbeit liegt uns Gründern von AUGENHÖHE genauso am Herzen wie denen von intrinsify. Daher ist die Entscheidung gereift, unsere Aktivitäten in diesem Bereich zu verbinden. Schon seit einem Jahr gibt es Expedition Arbeit, bisher vor allem mit LinkedIn-Gruppe, dem wöchentlichen Mitgliederradio und einer wöchentlichen Video-Session zu aktuellen Fragen rund um neue Arbeit. Jetzt starten wir gemeinsam durch mit einer neuen Community, die auf den Schultern von AUGENHÖHE und intrinsify steht, von den beiden Organisationen aber unabhängig sein wird.
Wie sah das Zusammengehen konkret aus? Ihr habt Gedanken und Ideen gesammelt, und dann?
Silke: Die Idee einer gemeinsamen Community hat uns einfach nicht mehr losgelassen. Ich habe Florian Städtler, den Treiber der Idee, Anfang 2021 kennengelernt, und monatelang wollten wir mal sprechen, da er an unseren Vereinserfahrungen interessiert war. Gemacht haben wir das dann erst ein halbes Jahr später. Schon in diesem ersten Gespräch war uns klar: Das muss eine Community werden, das passt einfach, es kommt zusammen, was zusammengehört. Diese Idee - in die wir fürchterlich verliebt waren - haben wir jeweils unseren Mitgliedern von intrinsify und AUGENHÖHE vorgestellt und darum gebeten, sie zu "challengen", Fragen zu stellen, weitere Ideen dazuzulegen. Diese Konsultationen haben unsere Ideen konkretisiert und bereichert.
Wie lief dieser Abstimmungsprozess konkret?
Philipp: Wir verstehen das als einen Konsultationsprozess im eigentlichen Sinne. Das heißt, dass am Ende eine Entscheidung derer steht, die tatsächlich aktiv am Neuen mitarbeiten werden und durch die Konsultationen möglichst gut die Interessen der Communitys berücksichtigen können. Unsere Community soll einen Netzwerk-Charakter haben und gleichzeitig so handlungsfähig und effektiv wie möglich im Sinne des gemeinsamen Zwecks arbeiten können. Mit eigenem Namen und eigener Rechtsform. Als Expedition Arbeit. Der Abstimmungsprozess ist übrigens auch nicht vorbei: Wir verstehen Expedition Arbeit selbst als einen Prozess, eine Expedition, die immer diejenigen gestalten, die aktiv sind. Es war also sicher nicht der letzte Konsultationsprozess.
Was soll die gemeinsame Community bewirken?
Philipp: Expedition Arbeit soll Austausch ermöglichen für Menschen, die sich für mehr Lebendigkeit in ihrer Organisation einsetzen und die ihre Arbeit eigenverantwortlich, wirksam und sinnstiftend gestalten wollen. Vor allem über regelmäßige Präsenzveranstaltungen mit Barcamp-Charakter an verschiedenen Orten in ganz Deutschland. Denn das haben wir in den letzten beiden Jahren auch gemerkt: Kein noch so gutes digitales Tool ersetzt die persönliche Begegnung. Die Community lebt bei Veranstaltungen, beim direkten Austausch und persönlichen Treffen. Zudem denken wir aber auch an Medien mit Reichweite wie Newsletter oder Podcasts sowie an eine Online-Plattform. Seit Ende November ist auch die Website online, mit der Möglichkeit, sich anzumelden, und in Kürze auch mit einer Jahresplanung an Veranstaltungen für 2022.
Wofür steht Expedition Arbeit?
Silke: Wir wollen, dass möglichst viele Menschen selbstbestimmt und wirksam arbeiten können und ihr Tun als sinnstiftend erleben. Wir wollen, dass Organisationen wieder lebendige Orte sind - was kein Widerspruch zu ökonomischem Erfolg ist, im Gegenteil. Eine Veränderung der Arbeitswelt in diese Richtung wollen wir vorantreiben und mitgestalten. Dafür ist es gut, wenn Menschen miteinander reden, gemeinsam und voneinander lernen, sich vernetzen. Die Räume dafür finden sie bei Expedition Arbeit. Und noch etwas ist uns wichtig: Mit Expedition Arbeit wollen wir gemeinsam solche Räume schaffen, in denen Platz ist für unterschiedliche Perspektiven und Zugänge zum Thema Arbeit und Organisation. Es soll eine Community sein, die von ihrer Perspektivenvielfalt lebt und die diese Unterschiedlichkeit als Bereicherung sieht und unterstützt - und nicht einzelne Denkhaltungen bevorzugt. Es soll ein Diskursraum sein, neulich sagte jemand, es sollte so sein wie früher die Salons. Ja, das trifft es ganz gut.
Salons waren zugleich Diskursraum und physischer Raum. Ihr verwendet nun den Begriff Raum, wie es scheint, ganz selbstverständlich für physische und virtuelle Räume. Soll es die auch beide geben?
Ja, es wird physische und virtuelle Räume geben. Aus unserer Sicht ergänzt sich das perfekt: Virtuelle Räume sind großartig, um kurz zusammenzukommen, sich auszutauschen, in Kontakt zu sein. Das passiert bei Expedition Arbeit auch schon seit über einem Jahr, es gibt jeden Mittwoch eine sogenannte "WeSession", in der Mitglieder Thesen diskutieren. Echte, physische Räume braucht es aber genauso. Dort herrscht eine ganz andere Dichte, tiefere Begegnungen sind möglich. Außerdem ist viel wahrscheinlicher, dass zufällig etwas entsteht. AUGENHÖHE gäbe es zum Beispiel nicht ohne so einen Zufall. Ich glaube nicht, dass die Session damals zu diesem Projekt geführt hätte, wenn wir nicht in einem Raum gesessen hätten und gespürt hätten, dass da mehr entstehen will als die Auseinandersetzung mit einer Frage.
Ihr habt gesagt, dass Expedition Arbeit eine neue, innovative Rechtsform bekommen wird. Also nicht wieder ein Verein?
Silke: Nein, kein Verein, sondern eine GmbH mit gebundenem Vermögen.
GmbH mit gebundenem Vermögen heißt?
Silke: Eine GmbH mit gebundenem Vermögen, auch "GmbH in Verantwortungseigentum" genannt, ist eine Unternehmensform, die die Kraft des Privateigentums und des Unternehmertums mit einer Orientierung am Gemeinwohl verbindet. Da steckt eine ganze Menge dahinter, wie ein Unternehmen anders als auf die konventionelle Weise gedacht werden kann. Hier vielleicht nur kurz die beiden zentralen Grundsätze in so einem Unternehmen: Erstens: Gewinne sind Mittel zum Zweck. Das heißt, sie kommen nicht den Gesellschaftern zugute, sondern werden reinvestiert oder gespendet. Zweitens: Unternehmerschaft gleich Eigentümerschaft. Das bedeutet, dass die Stimmrechte immer bei Menschen liegen, die dem Unternehmen eng verbunden sind. Entscheidungen werden also immer von denen getroffen, die auch jeden Tag die Arbeit machen, und nicht von Anteilseignern, die im Zweifel weit weg sind und gar nicht Bescheid wissen.
Wie löst ihr die Finanzierungsfrage? Das war ja, wie ihr erwähnt habt, einer der Knackpunkte bei der AUGENHÖHE-Community.
Philipp: Vieles läuft in Communitys durch freiwilliges, unentgeltliches Mitmachen. Das soll auch genauso sein und das ist ganz wunderbar. Und gleichzeitig braucht es eine Vergütung für Menschen, die den Rahmen halten, Veranstaltungen organisieren, die die Community kontinuierlich pflegen und mit Impulsen lebendig halten. Das ist eine umfangreiche Aufgabe, die niemand nebenbei wuppen kann. Deswegen wird es wieder ein Mitgliedschaftsmodell geben: Sowohl Einzelpersonen als auch ganze Unternehmen können Mitglied werden und mit ihren Beiträgen eine "neue Neue Arbeit" unterstützen. Und damit natürlich auch für sich selbst einen Raum mit ermöglichen für Inspiration, Austausch, Ermutigung, Voneinander-Lernen und der Chance, sich mit spannenden Menschen und Organisationen in ganz Deutschland zu vernetzen.
Seht ihr noch eine Frage, die nicht gestellt ist?
Bestimmt viele. Aber wir haben bei AUGENHÖHE einen Lieblingssatz: "Gut genug für jetzt." So möge es sein … und wir freuen uns, wenn wir vielen Leserïnnen begegnen, die uns weitere Fragen stellen und die neue Community bereichern …
Das Interview haben wir schriftlich in einem Google-Doc in einer Frage- und Nachfragerunde geführt.
Zitate
"New Work nutzen wir als Begriff eher nicht mehr." Silke Luinstra, Philipp Hansen: Expedition Arbeit
"New Work verkommt zum Optimierungsprogramm für Unternehmen." Silke Luinstra, Philipp Hansen: Expedition Arbeit
"Wir wollen, dass möglichst viele Menschen selbstbestimmt und wirksam arbeiten können und ihr Tun als sinnstiftend erleben. Wir wollen, dass Organisationen wieder lebendige Orte sind ... Eine Veränderung der Arbeitswelt in diese Richtung wollen wir vorantreiben und mitgestalten." Silke Luinstra, Philipp Hansen: Expedition Arbeit
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