Büros der dritten Art

Neue Bürokonzepte ermöglichen es, Büroarbeit anders zu gestalten - ein Interview mit Bernd Fels
Interview: Ute Wielandt

Die Initiative 3rd Places ist angetreten, dritte Arbeitsorte als Alternative neben dem Firmenbüro (2nd Place) und dem Heimbüro (1st Place) zu konzipieren und umzusetzen. Bernd Fels, Mitinitiator der Initiative, erläutert im Interview, wie das aussehen könnte.

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Bernd Fels ist Geschäftsführer des Beratungs- und Planungsunternehmens if5 anders arbeiten und Mitinitiator der Initiative 3rd Places.
 

Herr Fels, der Begriff "3rd Places" wurde ja vom amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägt. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, daraus eine Initiative zu machen? 

Es wird Zeit, Büroarbeit anders zu gestalten. Möglich ist das, da der technologische Fortschritt den täglichen Weg, fünf Tage die Woche, in das Büro obsolet macht. Durch die Cloud, durch Videokonferenzen et cetera ist Zusammenarbeit ortsunabhängig geworden. Bisher hat das aber leider wenig Wirkung auf die Arbeitsorte gehabt. Nach wie vor wird auf dem Weg zu viel Sprit und Lebenszeit vergeudet.
 

An wen wendet sich die Initiative 3rd Places, und was wollen Sie erreichen? 

Wir wenden uns an alle Büroarbeiter und damit theoretisch an sechs Millionen Erwerbstätige. Wir wollen erreichen, dass sie mehr dritte Arbeitsorte zumindest temporär nutzen und testen, jenseits von Homeoffice und Firmenbüro. Kreative neue Orte. Das Ziel ist es, 3rd Places in Deutschland bis 2020 salonfähig zu machen und bis 2025 flächendeckend in Deutschland anzubieten.
 

Sie haben ja bereits einige Ideen für solche 3rd Places entwickelt: das Stattbüro, das Dorfbüro, das Eckbüro, das Quartierbüro und das mobile Büro. Wer könnte solche Büros der dritten Art einrichten und betreiben?  

Büros mit einer Mietfläche von circa 100 bis 1.000 Quadratmetern Mietfläche können grundsätzlich von institutionellen Immobilienunternehmen, von Wohnungsbauunternehmen, von privaten Firmen oder von der öffentlichen Verwaltung sowohl mit angemietetem oder in Besitz befindlichem Immobilienbestand zur Verfügung gestellt werden. Vor allem sogenannte "Ladenhüter" - also aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, der Ausstattung oder schwieriger Flächenzuschnitte anderweitig nicht so leicht vermittelbare Objekte - sind von besonderem Interesse für dritte Arbeitsorte, da die Flächenanforderungen andere im Vergleich zum "08/15-Büromieter" sind.  

Betreiber der Flächen sind Firmen, die von Flächenkonzepten und Services etwas verstehen und insbesondere gute Gastgeber, Netzwerker und Eventmanager sind, denn der Aufbau einer Community ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von 3rd Places.
 

Wie sehen die einzelnen Typen genau aus? 

Das eher kleinere Quartierbüro ab circa 100 Quadratmetern in einem Wohnviertel zum Beispiel würde von Wohnungsbauunternehmen vermietet; es kann entweder durch die Mieter oder durch das Wohnungsbauunternehmen selber eingerichtet werden. Ein Betreiber wird sich aufgrund der geringen Größe nicht finden - eher ist es eine zusätzliche Aufgabe für einen Hausmeister, dort ab und zu nach dem Rechten zu schauen - oder die Mieter organisieren sich selbst nach dem Prinzip "der Kehrwoche". Das Stattbüro ist eine Kombination aus Coworking Space für jedermann und separaten Flächen für Firmen. Mit circa 1.000 Quadratmetern Mietfläche benötigt es hingegen zwingend einen Betreiber, der neben der Flächenorganisation auch Services, Events und Beratungsleistungen zur Betreuung der Firmen übernimmt. Das Eckbüro, das befreundete Firmen gemeinsam tragen, kann hingegen ohne Betreiber auskommen, da bestehendes Firmenpersonal - wie etwa der Empfang - diese Aufgabe mit übernehmen kann. Für das Dorfbüro - ein Arbeitsort für den Bürger - wird wie im Stattbüro oder wie in einem Coworking Space ein Betreiber notwendig sein. Vielleicht ist es aber im Gegensatz zum Stattbüro auch ein Verein und kein professioneller Betreiber.
 

Und wer könnte diese Büros nutzen? 

Nutzer dieses Angebots wären neben den bereits erwähnten sechs Millionen Erwerbstätigen im Büro insbesondere beim Quartier- und Dorfbüro auch Rentner und Eltern in der Kinderpause, die sich fortbilden wollen und in 3rd Places einen Ort mit Erlebnis- und Aufenthaltsqualität vorfinden. Darüber hinaus können beispielsweise Bürgerinitiativen oder Vereine im Dorfbüro die Flächen nutzen. 3rd Places beruht ja auf dem Prinzip "nutzen statt besitzen", da bietet sich eine multifunktionale Nutzung der Räumlichkeiten und Infrastruktur geradezu an.
 

Wo liegt der Unterschied zu Coworking Spaces? 

Die Grundideen der Coworking Spaces, "nutzen statt besitzen" und "mehr miteinander als nebeneinander arbeiten", liegen auch allen 3rd Places zugrunde. Der Unterschied liegt in der Lage, der Ausstattung, den Services und der Zielgruppe. So ist beispielsweise das Stattbüro nach unserer Definition zu circa 50 Prozent ein klassischer Coworking Space für jedermann, jedoch in absolut zentraler Lage und mit einem höheren Ausstattungsstandard: schicke und ergonomisch hochwertige Möbel, eine hervorragend ausgebaute Infrastruktur und so weiter. Zu 50 Prozent ist er aber auch ein abgetrennter Bereich für Firmen, um neue Arbeits- und Bürowelten auf Zeit testen zu können und die Nutzung des Coworking-Bereichs mit seinen unterschiedlichen Nutzern in der gewünschten Intensität auszuprobieren. Auf diese Weise können Firmen die Herausforderungen vermehrt virtueller und netzwerkartiger Zusammenarbeit bewusst außerhalb des eigenen Firmenareals meistern.
 

Sie sagten eben, auch Kommunen und Immobilienfirmen könnten öffentliche Büroplätze einrichten. Welchen Nutzen könnten sie daraus ziehen?  

Der Staat kann die Entwicklung von 3rd Spaces fördern, indem er Raum zur Verfügung stellt, zum Beispiel leer stehende öffentliche Gebäude, und Subventionen oder Steuervergünstigungen anbietet. Diese Investition würde sich lohnen, denn sie erzielt jede Menge positive Effekte für die Gesellschaft. Zum Beispiel wird der Kohlendioxidausstoß verringert, weil Wege eingespart werden. Teilzeitkräfte können einen höheren Anteil ihrer Lebenszeit für die Erwerbsarbeit nutzen, weil sie weniger Zeit auf der Straße oder Schiene lassen. Für andere, zum Beispiel Eltern mit Kleinkindern oder pflegende Angehörige von Älteren, wird Erwerbsarbeit dadurch überhaupt erst organisatorisch möglich. Der ländliche Raum wird gestärkt, denn plötzlich gibt es dort auch Arbeitsorte. Virtuell unter- und miteinander agierende Organisationen erreichen Synergieeffekte und inspirieren einander, dazu wird die Technikaffinität erhöht. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands immens steigern und die Verödung von strukturschwachen Regionen verringern. 

Für Immobilienunternehmen ist der Nutzen direkter: Einerseits Mieteinnahmen durch die 3rd Places selbst, andererseits erhöhen sie mit diesem Angebot die Attraktivität der umliegenden Wohn- und Geschäftsimmobilien deutlich.
 

Wie könnte die Organisation zum Beispiel eines Quartierbüros aussehen?  

Das Quartierbüro ist eine Gemeinschaftsfläche, die der Wohnungsvermieter, in der Regel große Wohnungsbauunternehmen, seinen Mietern zur Verfügung stellt. Diese können sie dann je nach Bedarf nutzen; beispielsweise trägt man sich für einen Büroplatz einige Zeit vorher online ein. Je nach Auslastung ist auch eine spontane Nutzung möglich.
 

Mietet man sich im Statt- oder Quartierbüro tage- oder monatsweise ein oder ist vielleicht in der Wohnungsmiete zugleich ein Nutzungsrecht für das Quartierbüro enthalten? 

Als Mieter einer Wohnung des Anbieters hat man ein Nutzungsrecht, hierfür fällt ein Sockelbetrag an. Die tatsächliche Nutzung wird mit einer variablen Komponente berechnet. Wer viel nutzt, der muss auch mehr bezahlen. Es ist aber auch vorstellbar, dass sich Dritte einmieten, der variable Preis wäre für sie dementsprechend höher.
 

Wer die Arbeitsplätze wann nutzt, ergibt sich ja eher zufällig. Versprechen Sie sich von einer solchen zufälligen Mischung verschiedener Menschen und Berufsgruppen kreative Impulse, vergleichbar der Coworking-Idee? 

Absolut. Da, wo Menschen zusammenkommen, entsteht zwangsläufig Kommunikation. Und Kommunikation und Austausch in einem informell gestalteten 3rd Place, wo Menschen zufällig zusammenkommen, ist die Quelle für Innovation und Kreativität. Insbesondere das Stattbüro will hier eine Brücke zwischen eher "alter" Ökonomie im separaten Firmenklub und der eher "neuen" Ökonomie im Coworking Space schlagen. So kommen träge Tanker und agile Schnellboote besser zusammen. Es wird nicht nur dem Zufall überlassen.
 

In Kürze eröffnet in Berlin das weltweit erste Stattbüro mit Namen OffX. Lüften Sie schon den Schleier? Wie wird es aussehen? 

Es folgt dem Stattbüro-Prinzip und ist ein Pilotprojekt. Es wird das weltweit erste Stattbüro sein. Es gibt dort den OffX-CoWorking-Bereich für jedermann und den OffX-CoOffice-Bereich, der insbesondere von Firmen genutzt werden kann. Es werden aber nicht nur Flächen angeboten, sondern auch unterschiedliche Services, die der mobile Büroarbeiter von heute und morgen benötigt, wie beispielsweise ein virtueller Briefkasten und ein Scandienst. Viel Wert legen wir auch auf die Begleitung der Firmen. So formiert sich derzeit das if5-Lernweltenforum, das aus verschiedenen Lernlotsen bestehen wird: einem Zukunftsexperten, einem Organisations-, Innovations- und Kreativitätsberater, einer Hochschule, die dezentrales Arbeiten und virtuelle Führung zum Thema hat, sowie einem Rechtsexperten. Alles Disziplinen, die wichtige Bausteine bei der Umsetzung neuer Arbeits- und Bürowelten darstellen. Wir von if5 bilden die Klammer und begleiten Firmen bei der Umsetzung ihrer eigenen Vision. Das OffX ist hier Spielwiese und Lernort, an dem verschiedene Raumnutzungskonzepte erprobt werden können.
 

Wie finanziert sich dieses Pilotprojekt? 

Das Projekt ist ein Joint Venture von Haworth und if5 anders arbeiten, die Flächen und Personal stellen und den Umbau durchführen. Verschiedenste Premiumpartner unterstützen mit subventionierten Produkten und Dienstleistungen. Da sämtliche Flächen stunden- bis monatsweise angemietet werden können, ist die größte Herausforderung des Konzepts die nicht planbare Einnahmenseite, denn einen Mieter mit einem Fünfjahresmietvertrag gibt es nicht. Die Pilotphase wird zeigen, ob das OffX dem Wunsch nach flexiblen, anmietbaren Flächen entsprechen kann. Ausschlaggebend ist der wirtschaftliche Vorteil des Pay-per-use-Prinzips für mobile Büroangestellte - und das in einer anregenden Arbeitsumgebung mit Erlebnis- und Aufenthaltsqualität.
 

Und wie sieht die weitere Entwicklung des Piloten aus? Was planen Sie? 

Wir werden den Piloten zwei Jahre in puncto Flächenangebot, Ausstattung, Services, Events, Buchungssystem, Preispolitik und Partnermanagement testen und dann zum gegebenen Zeitpunkt weitere OffX-Standorte in den großen Ballungsräumen Deutschlands bewerten, planen und hoffentlich umsetzen. Frankfurt und München stehen besonders im Fokus, aber wenn andere spannende Konstellationen in Hamburg, Köln und sonst wo zustande kommen, werden wir agieren. Vielleicht ist es auch ein OffX, das eher dem Dorfbüro-Prinzip folgt.
 

Und die Initiative? Wie soll es nach dem Spaces-Kongress im Mai weitergehen? 

Unsere Erfahrungen mit dem OffX werden wir an Dritte in Form von Planungsleistungen weitergeben. Wie gesagt hoffen wir, dass es in zehn Jahren deutschlandweit ein flächendeckendes Angebot von 3rd Places gibt. Da liegt noch viel Arbeit vor uns, der wir uns gerne stellen.
 


Zitate


"Es wird Zeit, Büroarbeit anders zu gestalten." Bernd Fels: Büros der dritten Art

 

changeX 02.04.2015. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Ute Wielandt
Wielandt

Ute Wielandt ist freie Texterin in Ingolstadt. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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