Die Gene sind frei

Mein wundervolles Genom - Lone Franks Selbstversuch im Zeitalter der persönlichen Genforschung
Text: Jost Burger

Woher komme ich? Wer bin ich? Wie bin ich so geworden? Uralte Menschheitsfragen neu gestellt - von der modernen Genetik. Die Forschung darüber, was unser Genom für uns bedeutet, entwickelt sich gerade zu einem neuen Hypertrend im Welterklärungsgeschäft - und zu einer neuen Quelle individueller Erkenntnis. Lone Frank hat ein grandioses Buch über ihren Trip zu ihrem genetischen Selbst geschrieben.

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"Ohne Quelle, ohne Nachkommen hängt man ziemlich in der Luft in der Unendlichkeit der Menschheit, des Lebens." Notiert Lone Frank. Und stellt den Tod ihres Vaters so an den Anfang ihrer Erkundungsreise in die eigene Genetik: Mein wunderbares Genom heißt ihr neues, soeben bei Hanser erschienenes Buch - als einer der ersten Titel in dem um den Bereich "Wissen und Weltgeschehen" erweiterten Sachbuchprogramm des Verlags. Frank zählt zu den bekanntesten Wissenschaftsjournalisten Dänemarks, ihre Bücher sind international erfolgreich, und in ihrem neuesten Werk widmet sie sich dem menschlichen Genom und wie seine Erforschung die kommenden Jahrzehnte bestimmen wird. 

Ein philosophischer Einstieg in ein hoch kompliziertes wissenschaftliches Thema? In der Tat, und Frank legt noch eines drauf. Sie scheut sich nicht, menschliche Urfragen in ihrer millionenhaft wiederholten Form zu stellen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wie bin ich so geworden?  

Frank kommen diese Fragen am Totenbett ihres Vaters, und mit diesem entwaffnend persönlichen Einstieg macht sie sofort und überzeugend klar, was sie zeigen will: Die ganze Debatte über die moderne Genetik wird auch deshalb so heftig geführt, weil sie tatsächlich an die Grundfragen des Menschseins rührt.


Freiheit und Schicksal


Klingt immer noch trivial? Dann vielleicht so: Dieses Buch ist ein sehr persönlicher Bericht über die Begegnung einer als Neurobiologin ausgebildeten Autorin mit ihrem eigenen Genom und dem wirtschaftlich-soziologischen Komplex, der sich um die Erforschung der menschlichen Gene entwickelt. Aber eigentlich geht es in diesem Buch um den Umgang des Menschen mit dem Konzept Freiheit, mit der Möglichkeit der freien Wahl, um den uralten Streit zwischen Determinismus und menschlicher Selbstverantwortung. Wer aufmerksam liest, kann im Licht der Erkenntnis über das Zusammenspiel von Genen und Umwelt die Möglichkeit aufschimmern sehen, dass diese Konzepte sich nicht ausschließen müssen. Sondern ordentlich wissenschaftlich begründet zwei Seiten einer Medaille beschreiben. Ein Selbstkonzept, das immer schon zwischen diesen beiden Polen changierte: Freiheit und Schicksal.  

Nebenbei lernt man bei der Lektüre noch jede Menge über Genetik, über DNA, Meiose, Genexpression, Codon-Analysen und Epigenetik. Begriffe, die zurzeit auf vielen Feldern mit der Neurobiologie um den Platz der alles erklärenden Universaltheorie menschlichen Wirtschaftens, Denkens, Handelns und - Krankseins konkurrieren. Und mit aller Macht hin zur praktischen - und wirtschaftlichen - Anwendung drängen.  

Doch dass es nicht damit getan ist, für teures Geld das persönliche Genom analysieren zu lassen, um fürderhin auf alle Zeiten und für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, das macht Frank sehr schnell klar. Schon gar, wenn es um die Besorgnisse ehrgeiziger Eltern geht, die per Genanalyse das Trainingsprogramm ihrer kleinen Einsteins bestimmen wollen. "Das genetische Horoskop ist hier und heute noch ein Wunschtraum. Jeder seriöse Genetiker wird den Kopf schütteln", heißt es klipp und klar. Aber dass mittlerweile etliche Firmen mit ebenjener Beratung schon viel Geld verdienen - in, wie könnte es aus europäischer Sicht anders sein, den USA und China -, das ist schon spannend genug. Denn wo Menschen viel Geld für etwas ausgeben, dort lauern die Trends der Zukunft.


Vererbt heißt nicht unveränderlich


Die heißen zum Beispiel Consumer Genetics. In seinem reportagenhaften Ton wunderbar zu lesen ist der Bericht über die erste weltweite Tagung zum Thema, die Frank beschreibt. Dort wird leidenschaftlich über den Sinn und Unsinn über das Internet "bestellbarer" Genanalysen diskutiert - aus wissenschaftlicher ebenso wie aus ethischer und wirtschaftlicher Sicht. Was bringt die Analyse auf bestimmte Genvarianten, die Hinweise auf Krankheiten bringen können, wenn es die Forschung ein Jahr später besser weiß? Kann man es verantworten, Laien mit den Auswertungen und den möglichen therapeutischen Schlussfolgerungen alleine zu lassen? Kann man es vor allem verantworten, ungefragt das Genom der eigenen Kinder ins Internet zu stellen - und warum sollte man das überhaupt tun? Wer soll all die Gentests bezahlen, die viele als Standarduntersuchung bei Neugeborenen fordern?  

Wobei das ja informierte Diskussionen und Besorgnisse sind. Beim durchschnittlichen Zeitungsleser äußert sich die Kritik an "dieser Genetik" indes viel grundsätzlicher. Man erinnere sich an die Diskussion um ein "Trinker-Gen", ein "Schwulen-Gen" oder eine genetische Vorbestimmung zur Gewalt. Vielen Menschen bereitet die Vorstellung Unbehagen, unser Wesen, unser Verhalten könnte von den Genen gesteuert sein - vor allem, wenn es um sozial geächtete Eigenschaften geht. Denn dann wären solche Menschen mit wissenschaftlichem Segen als unheilbar abgestempelt. Doch hinter diesen Ängsten steckt eine veraltete Vorstellung von der Bestimmungskraft der Gene, womöglich auch die Erinnerung an die Eugenik der Nazis.  

Denn genetisch bedingt, oder vererbt, so Frank, "heißt nicht unveränderlich". So kann das Vorliegen einer bestimmten Genvariante durchaus ein bestimmtes Verhalten erzeugen, das von der Umwelt als Eigenschaft wahrgenommen wird - zum Beispiel Depressionen. Bestimmend ist dabei die Gehirnchemie, die durch genetisch beeinflusste Wirkungsweisen von Neurotransmittern bestimmt wird. Das Wissen um solche Dinge muss aber, das ist die Botschaft, Depression nicht als unausweichliches Schicksal erscheinen lassen.  

Schon gar nicht, weil die aktuelle Entwicklung der Genetik von einem kruden Determinismus Abschied nimmt. Elegant führt Frank - selbst immer wieder an Depressionen leidend - im Gespräch mit Wissenschaftlern in das jüngste Forschungsfeld der Soziogenetik, die Epigenetik, ein. Kurz gesagt beschreibt dieses Konzept die Erkenntnis, dass die Umwelt tatsächlich einen Einfluss darauf hat, welche der in uns angelegten Genvarianten aktiv sind. Das entscheidende Stichwort lautet "Reversibilität" - die am Horizont aufschimmernde Möglichkeit, uns aus der vermeintlichen Versklavung durch unsere Gene zu befreien: "In der Zukunft könnten Sie vielleicht durch eine spezielle mentale oder soziale Aktivität in der Lage sein, den Effekt eines Gens abzumildern, das Ihr Nervensystem auf eine unerwünschte Bahn bringt."


Mein Genom: Ich bin, was ich damit tue


Zugleich kann man das auch als Antwort lesen für jene, die sich durch den scheinbaren, falsch verstandenen Determinismus der Genetik in ihrer menschlichen Autonomie schlicht gekränkt fühlen. Frank packt die neue Sicht des Genoms in ein wundervolles Bild; ihr Schlusswort verdient es wirklich, auch hier als Schlusswort zu dienen: "Mein Genom ist keine Zwangsjacke, sondern ein weicher Pullover, den ich ausfüllen und formen kann, in den ich mich hineinkuscheln und in dem ich mich räkeln kann. Ich bin, was ich mit dieser wunderbaren Information tue, die über Jahrmillionen durch Milliarden von Organismen geflossen ist und schließlich mir anvertraut wurde." 

Ein großartiges Buch!  



changeX 26.08.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Mein wundervolles Genom. Ein Selbstversuch im Zeitalter der persönlichen Genforschung. Carl Hanser Verlag, München 2011, 330 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-446-42687-0

Mein wundervolles Genom

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Autor

Jost Burger
Burger

Jost Burger ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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