Auch Nachbarland Australien hat nach dem Regierungswechsel im November 2007 offenbar seinen klimafeindlichen Kurs aufgegeben und nach langer Verweigerung nun das Kyoto-Protokoll ratifiziert. Immerhin ist hier der Verkauf herkömmlicher Glühbirnen ab 2010 verboten. Ob das Engagement darüber hinausgeht, wird man jedoch abwarten müssen.
Norwegen, das über erheblichen Reichtum aus den jahrelangen Ölgeschäften verfügt, treibt als Pionier Projekte zur unterirdischen Lagerung von Kohlendioxid-Emissionen voran und könnte damit zum wichtigsten Handelspartner für die europäischen Kohlekraftwerke werden. Mit der Ankündigung vom April 2007, bis 2050 den Nettoausstoß an Kohlendioxid auf null zu reduzieren, hat Norwegen ein ambitioniertes Ziel vorgegeben, das aber mittlerweile von einer Reihe anderer Staaten schon wieder überboten wird.
Costa Rica zum Beispiel, von manchen immer noch als Bananenrepublik abgetan, von anderen als Urlaubsparadies gefeiert, könnte zum Musterschüler im Klimaschutz avancieren. Das mittelamerikanische Land hat 2007 den Wettlauf um Klimaneutralität eröffnet, als es ankündigte, schon 2021 Kohlendioxid-neutral zu sein, also 29 Jahre vor Norwegen. Kohlekraftwerke sollen stillgelegt, Hybridautos dagegen gefördert werden. Dazu will das Land konsequent die Chancen radikaler Energie- und Materialeffizienz, erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung nutzen. Costa Rica fängt beim Klimaschutz nicht bei null an, sondern produziert bereits heute 78 Prozent seiner Energie aus Wasserkraft und weitere 18 Prozent aus Erdwärme - insgesamt also 96 Prozent aus erneuerbaren Energien. Auch der Kohlendioxid-Ausgleich wird dem ambitionierten Klimaschützer leichtfallen: 51 Prozent des Landes sind Waldfläche, und statt Brandrodung wie in anderen Ländern Südamerikas und Asiens zu betreiben, forstet man in Costa Rica lieber auf.
Das Rennen um die Goldmedaille als erster kohlenstoffneutraler souveräner Staat der Welt aber hat wohl schon der Vatikan gewonnen. Denn Papst Benedikt XVI. ließ sich vom amerikanischen Zertifikatsrechtehändler Planktos beziehungsweise dessen europäischer Wiederaufforstungstochter KlimaFa die komplette Neutralisierung des Kohlendioxid-Ausstoßes von 2007 schenken - und zwar in Form eines 7.000 Hektar großen neu angepflanzten "Vatikan-Klimawaldes" im ungarischen Bükk-Nationalpark. Das Projekt ist als Joint-Implementation-Projekt gemäß Kyoto-Protokoll von der EU anerkannt und neutralisiert Kohlendioxid in der Größenordnung der Emissionen des Vatikanstaats. Insofern kommt der Papst wohl als Erster in den Klima-Himmel.
Jede Tonne zählt!
Wenn wir wollten, könnte
Deutschland es dem Heiligen Stuhl gleichtun und schon morgen
ebenfalls klimaneutral sein: Wenn jeder von uns ab sofort alle
seine Emissionen durch Klimaschutzspenden ausgleichen würde, wäre
diese "Hurra, wir sind klimaneutral"-Medaille leicht gewonnen -
und weniger teuer, als man gemeinhin denkt. Eine Musterrechnung
macht dies deutlich: Jeder Deutsche produziert durchschnittlich
10,4 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Dabei schlagen zu Buche:
Heizen mit 2,5 Tonnen, Autofahren mit 1,4 Tonnen, Elektrogeräte
mit 0,9 Tonnen, öffentlicher Verkehr mit 0,2 Tonnen, Ernährung
mit 1,5 Tonnen, persönlicher Konsum mit 2,7 Tonnen und Flugreisen
mit 1,2 Tonnen. Im Einzelfall kann der individuelle Carbon
Footprint natürlich ganz anders aussehen, aber gehen wir einmal
von der Durchschnittsbürgerin "Marianne Mustermann" aus.
Ihre Bilanz sieht dann so aus: Derzeit kostet die Tonne
Kohlendioxid etwa 23 Euro. Es ist realistisch anzunehmen, dass
dieser Wert sich nicht sehr stark noch oben verändern wird. Wenn
also Marianne Mustermann Kohlendioxid-neutral sein will, muss sie
rund 250 Euro pro Jahr für den Klimaschutz spenden, das sind 20
Euro im Monat und knapp 70 Cent am Tag. Ein Schokoriegel pro Tag
weniger - und schon wäre die Energiebilanz von Marianne
Mustermann klimaneutral! Und selbst wenn sich der
Kohlendioxid-Preis verdoppeln sollte, lägen die Kosten mit 40
Euro im Monat für den deutschen Durchschnittsbürger noch im
verkraftbaren Bereich. Schließlich lag das Durchschnittseinkommen
in Deutschland im Jahr 2005 bei etwa 40.000 Euro brutto -
Klimaneutralität wäre demnach schon für knapp 0,5 Prozent bis
maximal ein Prozent vom Einkommen zu haben. Das ist weniger als
der Gewerkschaftsbeitrag oder die Kirchensteuer. Dabei handelt es
sich keineswegs um eine Art von Ablasshandel, sondern um eine
tatsächliche Kompensation: Durch die Investition in
Klimaschutzprojekte - wie zum Beispiel die Wiederaufforstung von
Wäldern - wird Kohlendioxid neutralisiert.
Die Bundesregierung hat den Anfang schon gemacht: Seit
Februar 2007 werden die Dienstreisen von Ministern,
Staatssekretären und allen Regierungsbeamten (ausgenommen
Bahnfahrten) klimaneutralisiert. 2008 zog der Bundestag nach,
indem alle Flüge von Abgeordneten durch Investition in
Klimaschutzprojekte bilanziell ausgeglichen werden.
Green-Wishi-Washi.
Und die Wirtschaft? Solange sich
Manager fragen müssen, ob die neue Klimawelle vielleicht doch nur
ein Modethema und morgen schon wieder vergessen ist, werden sie
zögern, sich auf den neuen Trend einzulassen. Vor diesem
Hintergrund ist es wenig überraschend, dass ausgerechnet die
Industrie einer der stärksten Befürworter von klaren gesetzlichen
Regelungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz ist. Denn nur die
würden dem verunsicherten Verbraucher Orientierung geben und
damit über den kurzen Trend hinaus eine langfristige Umstellung
ermöglichen.
Erst wenn die Wirtschaft politische Sicherheit hat, werden
die Unternehmen den Kunden durch klare Kommunikation und
Produktdeklaration klimafreundlichen Konsum erleichtern. Derzeit
indes reiten viele Unternehmen mit alten Surfbrettern, die
eigentlich nicht für Klimaschutz geeignet sind, munter auf der
Klimawelle mit. Da wird die Öffentlichkeit mit einer Fülle
unspezifischer Werbekampagnen überschüttet, die Begriffe aus dem
Klimaschutz für ihre produktbezogenen Botschaften verwenden. Dies
ruft verständlicherweise Kritiker auf den Plan, die solche
Marketingaktivitäten von Großkonzernen als Etikettenschwindel zu
entlarven versuchen.
"Greenwashing" heißt das markige Schlagwort, das von
Umweltaktivisten den als halbherzig empfundenen Versuchen der
Industrie, umweltbewusst zu agieren, entgegengeworfen wird. Ins
Visier geraten dabei vor allem jene Unternehmen, die bislang eher
als Umweltsünder galten, wie Ölindustrie, Kraftwerksbetreiber,
Fluggesellschaften und Automobilindustrie, die nun durch
besonders engagierte Marketingaktivitäten versuchen, den
schlechten Ruf zu sanieren. Doch vom Saulus zum Paulus wird man
nicht allein, indem man seinen Anfangsbuchstaben ändert.
Verlierer vor der Niederlage.
Für Unternehmen, die als Verlierer
konkreter Maßnahmen gegen den Klimawandel vom Platz gehen
müssten, ist dagegen jeder Tag, den sie weitermachen können wie
bisher, ein Gewinn. Aus ihrer Perspektive durchaus
nachvollziehbar.
In dieser Phase sind wir zurzeit: Die meisten
Klimaverlierer wissen, dass sie verloren haben. Aber noch kämpfen
sie gegen die Niederlage an. Die Ungeduld der Umweltverbände ist
verständlich, ihre Kritik am bloßen "Greenwashing" aus der
Perspektive einer Idealvorstellung heraus berechtigt. Natürlich
wäre es schön, wenn sich Erkenntnisse sofort in Taten umsetzen
ließen - doch das ist "Greenwishing". Ein Umwälzungsprozess in
Volkswirtschaften vollzieht sich leider sehr langwierig.
Und das ist in der Tat ein Problem. Was neben Öl und Gas
wirklich knapp wird, ist eine viel wertvollere Ressource: die
Zeit. Verstehen Sie mich nicht falsch - weder ist es fünf vor
zwölf, noch steht die Apokalypse unmittelbar bevor. Die Welt wird
nicht untergehen. Aber die Ereignisse überschlagen sich geradezu,
in immer rasanterem Tempo. Je länger wir überlegen, was zu tun
ist, desto weniger werden wir eine andere Klima-Zukunft gestalten
können. Wir sollten also dringend sehen, dass wir endlich in die
Puschen kommen - und zwar nicht nur in die gemütlichen Pantoffeln
vorm heimischen Sofa.
Denn ernst zu nehmender Klimaschutz geht weit über das
schwäbische Sauberkeitsprinzip "Jeder kehre vor seiner eigenen
Tür" hinaus. Es geht nicht nur um den Dreck unserer eigenen
Industrie, sondern um den der ganzen Welt. Wenn wir wirklich
Klimaschutz betreiben wollen, dann müssen wir zusehen, dass die
ganze Welt ihre Treibhausgasemissionen reduziert.
Der Klima-Express rollt.
Der Klima-Express ist unterwegs -
daran gibt es überhaupt keinen Zweifel! Er steuert mit großem
Tempo in eine Zukunft auf hohem technologischem Niveau. Umso
verwunderlicher ist es, dass noch längst nicht alle Welt auf den
Klima-Zug aufgesprungen ist. China zum Beispiel ist durch sein
enormes Wirtschaftswachstum inzwischen das Land mit dem höchsten
Kohlendioxid-Ausstoß der Welt, noch vor dem vermeintlichen
Klima-Ignoranten USA. Chinas Anteil an den weltweiten
Gesamtemissionen wächst. Trotzdem betrachtet das Land den
Klimaschutz als nachrangig. Vorrang hat das Wirtschaftswachstum.
Auch Indien legt weniger Wert auf Minimierung seines
unökologischen Outputs als auf Maximierung seiner ökonomischen
Einnahmen.
Nach Ansicht der indischen und chinesischen Regierung haben
nicht die Schwellenländer den Klimawandel verursacht, sondern die
seit Jahrzehnten verschwenderisch lebenden westlichen
Industrienationen. Und so sollten die sich auch um das Problem
kümmern. Diese Sichtweise ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Dennoch: Aufgrund des rasanten Wirtschaftswachstums dieser Länder
drängt die Frage, wie lange wir dem permanenten Wachstum der
Emissionen tatenlos zusehen können und wollen. Politische Appelle
an die Kooperationsbereitschaft dieser Länder sind zweifellos
richtig. Besser aber sind ökonomische Anreize, in ihrem Wachstum
von vornherein auf emissionsarme Technologien zu setzen. Die
indische Studie
Technologische Visionen 2036, die im Jahr 2007 in
Absprache mit allen indischen Ministerien entstand, hat gezeigt,
dass Indien wirtschaftlich wachsen und trotzdem seine
Treibhausgase reduzieren kann. Eigentliches Ziel der Studie war
herauszufinden, wie das Land seine Energieversorgung sichern
könne, und dabei spielte die Frage der Energieeffizienz eine
große Rolle. Insofern wäre die Reduzierung der Treibhausgase
gewissermaßen ein willkommener Nebeneffekt.
Gerade Indien bietet zahlreiche Ansätze für effiziente
Zukunftsenergien, in denen zudem große Chancen für deutsche
Klimaschutztechnologie liegen: Mit jährlich 2.000 bis 3.000
Sonnenstunden verfügt Indien über beste Voraussetzungen zur
Nutzung der Solarenergie. Wachstumspotenzial gibt es auch in der
Windkraft. Denn obwohl das Land bereits heute die fünftgrößte
installierte Windkraftleistung der Welt (1.700 Megawatt Leistung)
besitzt, gibt es noch reichlich Platz für neue Anlagen; bislang
werden nach Berechnungen des Bundesumweltministeriums erst drei
Prozent des Potenzials genutzt. Auch für Wasser- und moderne
Biomassekraftwerke gibt es großes Marktpotenzial. Indien hat die
Bedeutung der erneuerbaren Energien frühzeitig erkannt und hat
mit der Indischen Agentur für Entwicklung Erneuerbarer Energien
(IREDA) ein Instrument zur Finanzierung der erneuerbaren Energien
und sogar ein eigenes Energieministerium geschaffen. Damit ist
Indien vielen anderen Ländern - auch Deutschland, wo die
Energiezuständigkeit immer noch nicht klar politisch geregelt ist
- politisch um einiges voraus.
In China dürften sich vergleichbare Chancen und
Möglichkeiten finden lassen, wenngleich es dazu noch keine
wissenschaftliche Studie gibt. Aber wenn es gelänge, dem
chinesischen Wirtschaftswachstum eine auf Effizienz ausgerichtete
Strategie zugrunde zu legen, könnte auch hier gleichzeitig eine
Reduktion der Treibhausgasemissionen erfolgen. China hat das
Kyoto-Protokoll unterschrieben, muss aber keine Sanktionen
fürchten, wenn es die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Das
Land will den Ausstoß von Kohlendioxid durch den Ausbau von
Wasser- und Atomkraft sowie durch effizientere Kohlekraftwerke
reduzieren. China deckt zwei Drittel seines Energiebedarfs aus
Kohle und investiert derzeit sehr viel Geld in den Bau der neuen
Kohlekraftwerke. Aber auch auf dem Feld erneuerbarer Energien ist
China sehr aktiv, weil es - anders als Indien - langfristig nicht
auf Atomkraft setzen will. Die aktuell vorhandenen Kraftwerke
sollen nur als Brückentechnologie dienen.
Gerade die Schwellenländer sind auf dem Weg zu
klimafreundlichen Industrienationen auf kostengünstige
technologische Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Hier
liegen Deutschlands Chancen.
Um-Weltmeister Deutschland.
Jahrelang war Deutschland weltweit
Spitzenreiter in Forschung und Entwicklung von
Umwelttechnologien. Doch die
Studie zum deutschen Innovationssystem, die 2007 gemeinsam
vom Niedersächsischen Institut für Wirtschaftsforschung, dem
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und dem
Fraunhofer-Institut durchgeführt wurde, zeigte: Deutschland droht
den Spitzenplatz im Umweltsektor zu verlieren. Italien hat
inzwischen sehr große Stärken im Maschinen- und Anlagenbau,
Dänemark, Großbritannien und die USA gewinnen durch
Spezialisierung zum Beispiel bei Recycling, Wasser und
regenerativen Energien, die Schweiz und Schweden schließlich
haben sich unter anderem durch Techniken zur Luftreinhaltung nach
vorn gearbeitet.
All diese Länder haben im Wettbewerb um Marktanteile im
Umweltbereich längst zu Deutschland aufgeschlossen. In Bezug auf
Umweltschutzgüter hat sich Japan inzwischen zum Hauptkonkurrenten
gemausert und spielt auf den Weltmärkten eine gewichtige Rolle.
Beim Export von verarbeiteten Industriewaren wurde Deutschland im
Umweltsegment bereits von Japan überholt.
Wer glaubt, sich auf den Leistungen der Vergangenheit
ausruhen zu können, irrt. Deutschland war zwar 2004 mit einem
Welthandelsanteil von 16,4 Prozent größter Exporteur von
Umweltschutzgütern und lag damit erstmals seit Langem knapp vor
den USA. Doch dass Deutschland derzeit auf der
Umweltexport-Hitliste ganz oben steht, liegt nicht etwa daran,
dass sich die Exportquote Deutschlands verbessert hätte (im
Gegenteil - sie ist relativ stabil geblieben, also ohne
relevantes Wachstum). Es liegt allein daran, dass sich die Werte
der Amerikaner extrem verschlechtert haben: Sie sind von vormals
22 Prozent auf 16,1 Prozent gefallen.
Genau genommen liegt dieser Exporterfolg nicht an der
Qualität der deutschen Umwelttechnologie, sondern daran, dass
Deutschland ein starkes Exportland ist. Die Umwelttechnologie ist
im Vergleich mit sonstigen Technologien, die wir exportieren, nur
etwas besser als der Durchschnitt. Schlimmer noch, ausgerechnet
die Klimaschutzgüter - die angesichts der Weltklimapolitik der
größte Verkaufsschlager sein müssten - verkaufen sich weniger als
deutsche Durchschnittstechnik. Wenn wir auf Dauer mitspielen
wollen, haben wir dringenden Handlungsbedarf und müssen in
Forschung und Entwicklung von Klimatechnologie investieren.
Die Zukunft liegt für ein kleines Land wie Deutschland in
Innovationen. Nur wenn wir gute Ideen haben und durch
bahnbrechende Produktneuerungen auf dem Weltmarkt auffallen,
werden wir als Exportweltmeister auch im Klimaschutz gewinnen.
Auch alle anderen Nationen forschen selbstverständlich
nicht nur für den Eigenbedarf, sondern sind, verstärkt seit Mitte
der 90er-Jahre, an den Ansprüchen der internationalen
(Export-)Märkte ausgerichtet. Wenn wir Deutschen also auf die
wachsenden Märkte in Asien und Südamerika hoffen, dann sind wir
damit nicht allein.
Wir Deutschen, die wir uns immer als Vorreiter in Sachen
Umweltschutz gesehen haben, stehen vor einer ungewohnten
Herausforderung: Wir müssen die Innovationsmöglichkeiten zum
Klimaschutz rechtzeitig nutzen. Nur dann sind wir am Schluss
nämlich nicht nur die mit den guten Absichten, sondern auch die
mit den guten Geschäften!
Keine grüne Blase.
Die Klimamärkte der Zukunft sind
schon längst Gegenwart. Die Erdatmosphäre braucht Klimaschutz.
Der Konsument will Klimaschutz. Es gibt grüne Märkte, sei es im
Bereich Immobilien, Mobilität oder Finanzdienstleistungen. Wer
als Unternehmer über den nächsten Quartalsbericht hinausdenkt,
handelt mit Blick auf den Klimawandel. Sogar die Politik arbeitet
- trotz aller Rückschläge - über die Legislaturperiode hinaus an
internationalen Regelungen, um den Prozess der Reduktion von
Treibhausgasen zu beschleunigen und die Zukunftsmärkte des
Klimaschutzes mit fairen Wettbewerbsregeln auszustatten.
Zugegeben, es hat lange gedauert. Seit der Konferenz von
Rio sind fast zwei Jahrzehnte vergangen. Und es wird vermutlich
auch noch eine Weile dauern, bis die letzten Zweifel ausgeräumt
sind, dass es sich bei all den Klimabemühungen womöglich um
nichts als eine "grüne Blase" handelt. Hier fehlt es immer noch
an Informationen über die Chancen und Möglichkeiten in Sachen
Klima.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Trägheit der Masse, die
zutiefst menschlich reagiert, indem sie zwar theoretisch längst
weiß, worum es geht, aber nicht den wichtigen Schritt in die
Praxis macht. Bis heute gibt es Berichte, dass das messbar
gestiegene Klimabewusstsein der Bevölkerung sich nicht in
gestiegenem Klimaengagement niederschlägt, im Gegenteil: Erst vor
Kurzem warteten zwei Wissenschaftler von der Texas A&M
University mit dem überraschenden Ergebnis einer Umfrage unter
1.093 Amerikanern auf, dass steigendes Wissen über die
Erderwärmung zu Apathie führe: Je mehr die Befragten über
Klimawandel wussten, desto weniger taten sie dagegen.
Insofern könnte man mit Sorge auf Al Gore schauen. Der
ehemalige amerikanische Präsidentschaftskandidat hat zwar 2007
mit seinem Dokumentarfilm
Eine unbequeme Wahrheit - zumindest in den USA - einen
Kinohit produziert, für den er sogar einen Oscar bekam. Aber der
Film hinterließ bei den Kinobesuchern eher das schale Gefühl des
drohenden Weltuntergangs denn die Hoffnung, man könne noch
irgendetwas retten. Wenn Al Gore jetzt eine Umweltwerbekampagne
für den Klimaschutz ankündigt, in die er in den nächsten drei
Jahren 300 Millionen Dollar investieren will, um die
amerikanische Öffentlichkeit für den Klimawandel zu
sensibilisieren, dann kann man nur hoffen, dass seine Botschaft
eine optimistischere ist.
Vielleicht aber liegt die Zurückhaltung der Konsumenten
auch daran, dass sie schlau genug sind, Dinge erst in Ruhe zu
hinterfragen. Denn auch in Deutschland machen wir die Erfahrung,
dass das Wissen um den Klimawandel allein noch nicht zur
Verhaltensänderung ausreicht. Ob Verbraucher, Unternehmen oder
Politiker aktiv werden, hängt offenbar von anderen Kriterien als
dem Kenntnisstand ab. Verhaltenstherapeuten wissen, dass Menschen
sich nur dann aufraffen, etwas zu tun, wenn ihnen das Ziel
erreichbar scheint. Ist die Lage eher schwierig bis hoffnungslos,
ziehen sie sich resigniert zurück. Ein zu 90 Prozent
wahrscheinlicher Klimawandel scheint viele Menschen eher zu
deprimieren als zu motivieren.
Jetzt anfangen!
Es ist aber wohl weniger der
Klimawandel an sich als die große
Informationsunübersichtlichkeit, die apathisch macht. Selbst der
bemühte Verbraucher verwickelt sich ob der vielen Ziele, die es
zu verfolgen gilt - Klimaschutz, fairer Handel, gesundes Leben,
soziale Gerechtigkeit -, schnell in Widersprüche. Nicht ohne Häme
werden ihm von allen Seiten immer wieder neue Studien unter die
Nase gerieben: Ökokarotten aus dem Bioladen? Sind teurer, aber
nicht besser. Die konventionellen Möhren enthalten genauso viele
Vitamine wie die Ökoware, schmeckten im Blindtest genauso gut und
waren aufgrund der höheren Verkaufsfrequenz sogar frischer.
Biobananen aus Uganda? Sind weder gesünder noch
klimafreundlich, denn sie werden genauso grün geerntet wie die
konventionelle Konkurrenz und im Containerschiff um den halben
Globus kutschiert, weswegen die Kohlendioxid-Bilanz unterm Strich
gleich ausfällt. Duschen statt baden, das Haus voller
Energiesparlampen, Fahrrad statt Auto? Alles Peanuts! Sobald man
einmal nach Gomera fliegt, ist die Klimabilanz ruiniert.
Hier muss die Politik schneller für Abhilfe sorgen, indem
sie mit klaren Vorgaben und Vorschriften dem Verbraucher dabei
hilft, sich klimafreundlich zu verhalten, wenn er es denn will.
Tatsächlich reagiert die Politik auf die wachsende
Verunsicherung, indem sie Regelungen zur Kennzeichnung der
Produkte einführt. Ob Blauer Engel, Grüner Punkt oder
EU-Bio-Zertifikat - durch gesetzlich geregelte Zertifizierungen
versuchen die Gesetzgeber das Vertrauen der Konsumenten in
Produkte wiederherzustellen. Sie brauchen nur so schrecklich
lange dafür.
Wenn die Politik zudem ihre Möglichkeiten ausnutzte, durch
Steuerpolitik die Preispolitik der Wirtschaft so zu beeinflussen,
dass Klimaschutz günstiger wird als die Erderwärmung, gäbe es
weitere Anreize für Unternehmen, sich auf klimabewusste
Geschäftsmodelle einzulassen. Und die weltweite Einführung eines
konsequenten Emissionshandels wäre sicher die effizienteste Form
von Klimaschutz.
Nichtsdestotrotz können wir schon heute mit dem Klimaschutz
beginnen. Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam aus dem
Klimaschutzkarussell aussteigen, in dem wir uns seit Jahren im
Kreis drehen, während wir von klimaneutralen Utopien träumen oder
immer bedrohlichere Klimaszenarien fantasieren. Jeder von uns, ob
als Verbraucher, als Unternehmer, Manager oder als Politiker,
kann seinen Beitrag leisten. Es ist eigentlich ganz leicht, etwas
zu tun. Klimaschutz beginnt hier und heute! Sie können jetzt
damit anfangen, und je eher Sie damit anfangen, desto mehr werden
Sie davon profitieren!
Claudia Kemfert ist Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Energieforschung und Klimaschutz an der Humboldt-Universität Berlin und forscht am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW Berlin. Sie berät unter anderem EU-Kommissionspräsident Barroso, die Weltbank und die UNO.
Mit einer Illustration von Limo Lechner.
Claudia Kemfert:
Die andere Klima-Zukunft.
Innovation statt Depression.
Murmann Verlag, Hamburg 2008,
264 Seiten, 19.90 Euro.
ISBN 978-3-86774-047-0
www.murmann-verlag.de
© changeX [11.09.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Claudia Kemfert: Die andere Klima-Zukunft. . Innovation statt Depression. . Murmann Verlag, Hamburg 1900, 264 Seiten, ISBN 978-3-86774-047-0
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