Gehen wir voran!
Wie Deutschland Klima-Weltmeister wird - ein Essay von Claudia Kemfert.
Es ist weder fünf vor zwölf, noch steht die Apokalypse unmittelbar bevor. Die Welt wird nicht untergehen. Aber die Ereignisse überschlagen sich. Was neben Öl und Gas wirklich knapp wird, ist eine viel wertvollere Ressource: die Zeit. Je länger wir überlegen, was zu tun ist, desto weniger werden wir eine andere Klima-Zukunft gestalten können. Wir sollten also sehen, dass wir endlich in die Puschen kommen! Sagt Deutschlands bekannteste Wirtschaftsprofessorin. Sie fordert: Innovation statt Depression! / 11.09.08
Illustration von Limo LechnerWir stehen in puncto Klimaschutz im internationalen Wettbewerb mit andern Ländern, die sich zum Teil sehr hohe Ziele gesteckt haben. So will Neuseeland bis 2025 mindestens 90 Prozent seines Strombedarfs durch erneuerbare Energien decken. Premierministerin Helen Clark verfolgt mit aller Entschlossenheit das Ziel, das umweltfreundlichste Land der Welt zu werden und alle Emissionen durch Neupflanzungen von Wäldern zu neutralisieren. In diese Strategie fällt auch das 2007 beschlossene Gesetz, mindestens zehn Jahre lang keine neuen Kraftwerke zuzulassen, die zur Energieerzeugung mehr als 20 Prozent fossile Brennstoffe benötigen.
Auch Nachbarland Australien hat nach dem Regierungswechsel im November 2007 offenbar seinen klimafeindlichen Kurs aufgegeben und nach langer Verweigerung nun das Kyoto-Protokoll ratifiziert. Immerhin ist hier der Verkauf herkömmlicher Glühbirnen ab 2010 verboten. Ob das Engagement darüber hinausgeht, wird man jedoch abwarten müssen.
Norwegen, das über erheblichen Reichtum aus den jahrelangen Ölgeschäften verfügt, treibt als Pionier Projekte zur unterirdischen Lagerung von Kohlendioxid-Emissionen voran und könnte damit zum wichtigsten Handelspartner für die europäischen Kohlekraftwerke werden. Mit der Ankündigung vom April 2007, bis 2050 den Nettoausstoß an Kohlendioxid auf null zu reduzieren, hat Norwegen ein ambitioniertes Ziel vorgegeben, das aber mittlerweile von einer Reihe anderer Staaten schon wieder überboten wird.
Costa Rica zum Beispiel, von manchen immer noch als Bananenrepublik abgetan, von anderen als Urlaubsparadies gefeiert, könnte zum Musterschüler im Klimaschutz avancieren. Das mittelamerikanische Land hat 2007 den Wettlauf um Klimaneutralität eröffnet, als es ankündigte, schon 2021 Kohlendioxid-neutral zu sein, also 29 Jahre vor Norwegen. Kohlekraftwerke sollen stillgelegt, Hybridautos dagegen gefördert werden. Dazu will das Land konsequent die Chancen radikaler Energie- und Materialeffizienz, erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung nutzen. Costa Rica fängt beim Klimaschutz nicht bei null an, sondern produziert bereits heute 78 Prozent seiner Energie aus Wasserkraft und weitere 18 Prozent aus Erdwärme - insgesamt also 96 Prozent aus erneuerbaren Energien. Auch der Kohlendioxid-Ausgleich wird dem ambitionierten Klimaschützer leichtfallen: 51 Prozent des Landes sind Waldfläche, und statt Brandrodung wie in anderen Ländern Südamerikas und Asiens zu betreiben, forstet man in Costa Rica lieber auf.
Das Rennen um die Goldmedaille als erster kohlenstoffneutraler souveräner Staat der Welt aber hat wohl schon der Vatikan gewonnen. Denn Papst Benedikt XVI. ließ sich vom amerikanischen Zertifikatsrechtehändler Planktos beziehungsweise dessen europäischer Wiederaufforstungstochter KlimaFa die komplette Neutralisierung des Kohlendioxid-Ausstoßes von 2007 schenken - und zwar in Form eines 7.000 Hektar großen neu angepflanzten "Vatikan-Klimawaldes" im ungarischen Bükk-Nationalpark. Das Projekt ist als Joint-Implementation-Projekt gemäß Kyoto-Protokoll von der EU anerkannt und neutralisiert Kohlendioxid in der Größenordnung der Emissionen des Vatikanstaats. Insofern kommt der Papst wohl als Erster in den Klima-Himmel.

Jede Tonne zählt!


Wenn wir wollten, könnte Deutschland es dem Heiligen Stuhl gleichtun und schon morgen ebenfalls klimaneutral sein: Wenn jeder von uns ab sofort alle seine Emissionen durch Klimaschutzspenden ausgleichen würde, wäre diese "Hurra, wir sind klimaneutral"-Medaille leicht gewonnen - und weniger teuer, als man gemeinhin denkt. Eine Musterrechnung macht dies deutlich: Jeder Deutsche produziert durchschnittlich 10,4 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Dabei schlagen zu Buche: Heizen mit 2,5 Tonnen, Autofahren mit 1,4 Tonnen, Elektrogeräte mit 0,9 Tonnen, öffentlicher Verkehr mit 0,2 Tonnen, Ernährung mit 1,5 Tonnen, persönlicher Konsum mit 2,7 Tonnen und Flugreisen mit 1,2 Tonnen. Im Einzelfall kann der individuelle Carbon Footprint natürlich ganz anders aussehen, aber gehen wir einmal von der Durchschnittsbürgerin "Marianne Mustermann" aus.
Ihre Bilanz sieht dann so aus: Derzeit kostet die Tonne Kohlendioxid etwa 23 Euro. Es ist realistisch anzunehmen, dass dieser Wert sich nicht sehr stark noch oben verändern wird. Wenn also Marianne Mustermann Kohlendioxid-neutral sein will, muss sie rund 250 Euro pro Jahr für den Klimaschutz spenden, das sind 20 Euro im Monat und knapp 70 Cent am Tag. Ein Schokoriegel pro Tag weniger - und schon wäre die Energiebilanz von Marianne Mustermann klimaneutral! Und selbst wenn sich der Kohlendioxid-Preis verdoppeln sollte, lägen die Kosten mit 40 Euro im Monat für den deutschen Durchschnittsbürger noch im verkraftbaren Bereich. Schließlich lag das Durchschnittseinkommen in Deutschland im Jahr 2005 bei etwa 40.000 Euro brutto - Klimaneutralität wäre demnach schon für knapp 0,5 Prozent bis maximal ein Prozent vom Einkommen zu haben. Das ist weniger als der Gewerkschaftsbeitrag oder die Kirchensteuer. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Art von Ablasshandel, sondern um eine tatsächliche Kompensation: Durch die Investition in Klimaschutzprojekte - wie zum Beispiel die Wiederaufforstung von Wäldern - wird Kohlendioxid neutralisiert.
Die Bundesregierung hat den Anfang schon gemacht: Seit Februar 2007 werden die Dienstreisen von Ministern, Staatssekretären und allen Regierungsbeamten (ausgenommen Bahnfahrten) klimaneutralisiert. 2008 zog der Bundestag nach, indem alle Flüge von Abgeordneten durch Investition in Klimaschutzprojekte bilanziell ausgeglichen werden.

Green-Wishi-Washi.


Und die Wirtschaft? Solange sich Manager fragen müssen, ob die neue Klimawelle vielleicht doch nur ein Modethema und morgen schon wieder vergessen ist, werden sie zögern, sich auf den neuen Trend einzulassen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass ausgerechnet die Industrie einer der stärksten Befürworter von klaren gesetzlichen Regelungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz ist. Denn nur die würden dem verunsicherten Verbraucher Orientierung geben und damit über den kurzen Trend hinaus eine langfristige Umstellung ermöglichen.
Erst wenn die Wirtschaft politische Sicherheit hat, werden die Unternehmen den Kunden durch klare Kommunikation und Produktdeklaration klimafreundlichen Konsum erleichtern. Derzeit indes reiten viele Unternehmen mit alten Surfbrettern, die eigentlich nicht für Klimaschutz geeignet sind, munter auf der Klimawelle mit. Da wird die Öffentlichkeit mit einer Fülle unspezifischer Werbekampagnen überschüttet, die Begriffe aus dem Klimaschutz für ihre produktbezogenen Botschaften verwenden. Dies ruft verständlicherweise Kritiker auf den Plan, die solche Marketingaktivitäten von Großkonzernen als Etikettenschwindel zu entlarven versuchen.
"Greenwashing" heißt das markige Schlagwort, das von Umweltaktivisten den als halbherzig empfundenen Versuchen der Industrie, umweltbewusst zu agieren, entgegengeworfen wird. Ins Visier geraten dabei vor allem jene Unternehmen, die bislang eher als Umweltsünder galten, wie Ölindustrie, Kraftwerksbetreiber, Fluggesellschaften und Automobilindustrie, die nun durch besonders engagierte Marketingaktivitäten versuchen, den schlechten Ruf zu sanieren. Doch vom Saulus zum Paulus wird man nicht allein, indem man seinen Anfangsbuchstaben ändert.

Verlierer vor der Niederlage.


Für Unternehmen, die als Verlierer konkreter Maßnahmen gegen den Klimawandel vom Platz gehen müssten, ist dagegen jeder Tag, den sie weitermachen können wie bisher, ein Gewinn. Aus ihrer Perspektive durchaus nachvollziehbar.
In dieser Phase sind wir zurzeit: Die meisten Klimaverlierer wissen, dass sie verloren haben. Aber noch kämpfen sie gegen die Niederlage an. Die Ungeduld der Umweltverbände ist verständlich, ihre Kritik am bloßen "Greenwashing" aus der Perspektive einer Idealvorstellung heraus berechtigt. Natürlich wäre es schön, wenn sich Erkenntnisse sofort in Taten umsetzen ließen - doch das ist "Greenwishing". Ein Umwälzungsprozess in Volkswirtschaften vollzieht sich leider sehr langwierig.
Und das ist in der Tat ein Problem. Was neben Öl und Gas wirklich knapp wird, ist eine viel wertvollere Ressource: die Zeit. Verstehen Sie mich nicht falsch - weder ist es fünf vor zwölf, noch steht die Apokalypse unmittelbar bevor. Die Welt wird nicht untergehen. Aber die Ereignisse überschlagen sich geradezu, in immer rasanterem Tempo. Je länger wir überlegen, was zu tun ist, desto weniger werden wir eine andere Klima-Zukunft gestalten können. Wir sollten also dringend sehen, dass wir endlich in die Puschen kommen - und zwar nicht nur in die gemütlichen Pantoffeln vorm heimischen Sofa.
Denn ernst zu nehmender Klimaschutz geht weit über das schwäbische Sauberkeitsprinzip "Jeder kehre vor seiner eigenen Tür" hinaus. Es geht nicht nur um den Dreck unserer eigenen Industrie, sondern um den der ganzen Welt. Wenn wir wirklich Klimaschutz betreiben wollen, dann müssen wir zusehen, dass die ganze Welt ihre Treibhausgasemissionen reduziert.

Der Klima-Express rollt.


Der Klima-Express ist unterwegs - daran gibt es überhaupt keinen Zweifel! Er steuert mit großem Tempo in eine Zukunft auf hohem technologischem Niveau. Umso verwunderlicher ist es, dass noch längst nicht alle Welt auf den Klima-Zug aufgesprungen ist. China zum Beispiel ist durch sein enormes Wirtschaftswachstum inzwischen das Land mit dem höchsten Kohlendioxid-Ausstoß der Welt, noch vor dem vermeintlichen Klima-Ignoranten USA. Chinas Anteil an den weltweiten Gesamtemissionen wächst. Trotzdem betrachtet das Land den Klimaschutz als nachrangig. Vorrang hat das Wirtschaftswachstum. Auch Indien legt weniger Wert auf Minimierung seines unökologischen Outputs als auf Maximierung seiner ökonomischen Einnahmen.
Nach Ansicht der indischen und chinesischen Regierung haben nicht die Schwellenländer den Klimawandel verursacht, sondern die seit Jahrzehnten verschwenderisch lebenden westlichen Industrienationen. Und so sollten die sich auch um das Problem kümmern. Diese Sichtweise ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch: Aufgrund des rasanten Wirtschaftswachstums dieser Länder drängt die Frage, wie lange wir dem permanenten Wachstum der Emissionen tatenlos zusehen können und wollen. Politische Appelle an die Kooperationsbereitschaft dieser Länder sind zweifellos richtig. Besser aber sind ökonomische Anreize, in ihrem Wachstum von vornherein auf emissionsarme Technologien zu setzen. Die indische Studie Technologische Visionen 2036, die im Jahr 2007 in Absprache mit allen indischen Ministerien entstand, hat gezeigt, dass Indien wirtschaftlich wachsen und trotzdem seine Treibhausgase reduzieren kann. Eigentliches Ziel der Studie war herauszufinden, wie das Land seine Energieversorgung sichern könne, und dabei spielte die Frage der Energieeffizienz eine große Rolle. Insofern wäre die Reduzierung der Treibhausgase gewissermaßen ein willkommener Nebeneffekt.
Gerade Indien bietet zahlreiche Ansätze für effiziente Zukunftsenergien, in denen zudem große Chancen für deutsche Klimaschutztechnologie liegen: Mit jährlich 2.000 bis 3.000 Sonnenstunden verfügt Indien über beste Voraussetzungen zur Nutzung der Solarenergie. Wachstumspotenzial gibt es auch in der Windkraft. Denn obwohl das Land bereits heute die fünftgrößte installierte Windkraftleistung der Welt (1.700 Megawatt Leistung) besitzt, gibt es noch reichlich Platz für neue Anlagen; bislang werden nach Berechnungen des Bundesumweltministeriums erst drei Prozent des Potenzials genutzt. Auch für Wasser- und moderne Biomassekraftwerke gibt es großes Marktpotenzial. Indien hat die Bedeutung der erneuerbaren Energien frühzeitig erkannt und hat mit der Indischen Agentur für Entwicklung Erneuerbarer Energien (IREDA) ein Instrument zur Finanzierung der erneuerbaren Energien und sogar ein eigenes Energieministerium geschaffen. Damit ist Indien vielen anderen Ländern - auch Deutschland, wo die Energiezuständigkeit immer noch nicht klar politisch geregelt ist - politisch um einiges voraus.
In China dürften sich vergleichbare Chancen und Möglichkeiten finden lassen, wenngleich es dazu noch keine wissenschaftliche Studie gibt. Aber wenn es gelänge, dem chinesischen Wirtschaftswachstum eine auf Effizienz ausgerichtete Strategie zugrunde zu legen, könnte auch hier gleichzeitig eine Reduktion der Treibhausgasemissionen erfolgen. China hat das Kyoto-Protokoll unterschrieben, muss aber keine Sanktionen fürchten, wenn es die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Das Land will den Ausstoß von Kohlendioxid durch den Ausbau von Wasser- und Atomkraft sowie durch effizientere Kohlekraftwerke reduzieren. China deckt zwei Drittel seines Energiebedarfs aus Kohle und investiert derzeit sehr viel Geld in den Bau der neuen Kohlekraftwerke. Aber auch auf dem Feld erneuerbarer Energien ist China sehr aktiv, weil es - anders als Indien - langfristig nicht auf Atomkraft setzen will. Die aktuell vorhandenen Kraftwerke sollen nur als Brückentechnologie dienen.
Gerade die Schwellenländer sind auf dem Weg zu klimafreundlichen Industrienationen auf kostengünstige technologische Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Hier liegen Deutschlands Chancen.

Um-Weltmeister Deutschland.


Jahrelang war Deutschland weltweit Spitzenreiter in Forschung und Entwicklung von Umwelttechnologien. Doch die Studie zum deutschen Innovationssystem, die 2007 gemeinsam vom Niedersächsischen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und dem Fraunhofer-Institut durchgeführt wurde, zeigte: Deutschland droht den Spitzenplatz im Umweltsektor zu verlieren. Italien hat inzwischen sehr große Stärken im Maschinen- und Anlagenbau, Dänemark, Großbritannien und die USA gewinnen durch Spezialisierung zum Beispiel bei Recycling, Wasser und regenerativen Energien, die Schweiz und Schweden schließlich haben sich unter anderem durch Techniken zur Luftreinhaltung nach vorn gearbeitet.
All diese Länder haben im Wettbewerb um Marktanteile im Umweltbereich längst zu Deutschland aufgeschlossen. In Bezug auf Umweltschutzgüter hat sich Japan inzwischen zum Hauptkonkurrenten gemausert und spielt auf den Weltmärkten eine gewichtige Rolle. Beim Export von verarbeiteten Industriewaren wurde Deutschland im Umweltsegment bereits von Japan überholt.
Wer glaubt, sich auf den Leistungen der Vergangenheit ausruhen zu können, irrt. Deutschland war zwar 2004 mit einem Welthandelsanteil von 16,4 Prozent größter Exporteur von Umweltschutzgütern und lag damit erstmals seit Langem knapp vor den USA. Doch dass Deutschland derzeit auf der Umweltexport-Hitliste ganz oben steht, liegt nicht etwa daran, dass sich die Exportquote Deutschlands verbessert hätte (im Gegenteil - sie ist relativ stabil geblieben, also ohne relevantes Wachstum). Es liegt allein daran, dass sich die Werte der Amerikaner extrem verschlechtert haben: Sie sind von vormals 22 Prozent auf 16,1 Prozent gefallen.
Genau genommen liegt dieser Exporterfolg nicht an der Qualität der deutschen Umwelttechnologie, sondern daran, dass Deutschland ein starkes Exportland ist. Die Umwelttechnologie ist im Vergleich mit sonstigen Technologien, die wir exportieren, nur etwas besser als der Durchschnitt. Schlimmer noch, ausgerechnet die Klimaschutzgüter - die angesichts der Weltklimapolitik der größte Verkaufsschlager sein müssten - verkaufen sich weniger als deutsche Durchschnittstechnik. Wenn wir auf Dauer mitspielen wollen, haben wir dringenden Handlungsbedarf und müssen in Forschung und Entwicklung von Klimatechnologie investieren.
Die Zukunft liegt für ein kleines Land wie Deutschland in Innovationen. Nur wenn wir gute Ideen haben und durch bahnbrechende Produktneuerungen auf dem Weltmarkt auffallen, werden wir als Exportweltmeister auch im Klimaschutz gewinnen.
Auch alle anderen Nationen forschen selbstverständlich nicht nur für den Eigenbedarf, sondern sind, verstärkt seit Mitte der 90er-Jahre, an den Ansprüchen der internationalen (Export-)Märkte ausgerichtet. Wenn wir Deutschen also auf die wachsenden Märkte in Asien und Südamerika hoffen, dann sind wir damit nicht allein.
Wir Deutschen, die wir uns immer als Vorreiter in Sachen Umweltschutz gesehen haben, stehen vor einer ungewohnten Herausforderung: Wir müssen die Innovationsmöglichkeiten zum Klimaschutz rechtzeitig nutzen. Nur dann sind wir am Schluss nämlich nicht nur die mit den guten Absichten, sondern auch die mit den guten Geschäften!

Keine grüne Blase.


Die Klimamärkte der Zukunft sind schon längst Gegenwart. Die Erdatmosphäre braucht Klimaschutz. Der Konsument will Klimaschutz. Es gibt grüne Märkte, sei es im Bereich Immobilien, Mobilität oder Finanzdienstleistungen. Wer als Unternehmer über den nächsten Quartalsbericht hinausdenkt, handelt mit Blick auf den Klimawandel. Sogar die Politik arbeitet - trotz aller Rückschläge - über die Legislaturperiode hinaus an internationalen Regelungen, um den Prozess der Reduktion von Treibhausgasen zu beschleunigen und die Zukunftsmärkte des Klimaschutzes mit fairen Wettbewerbsregeln auszustatten.
Zugegeben, es hat lange gedauert. Seit der Konferenz von Rio sind fast zwei Jahrzehnte vergangen. Und es wird vermutlich auch noch eine Weile dauern, bis die letzten Zweifel ausgeräumt sind, dass es sich bei all den Klimabemühungen womöglich um nichts als eine "grüne Blase" handelt. Hier fehlt es immer noch an Informationen über die Chancen und Möglichkeiten in Sachen Klima.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Trägheit der Masse, die zutiefst menschlich reagiert, indem sie zwar theoretisch längst weiß, worum es geht, aber nicht den wichtigen Schritt in die Praxis macht. Bis heute gibt es Berichte, dass das messbar gestiegene Klimabewusstsein der Bevölkerung sich nicht in gestiegenem Klimaengagement niederschlägt, im Gegenteil: Erst vor Kurzem warteten zwei Wissenschaftler von der Texas A&M University mit dem überraschenden Ergebnis einer Umfrage unter 1.093 Amerikanern auf, dass steigendes Wissen über die Erderwärmung zu Apathie führe: Je mehr die Befragten über Klimawandel wussten, desto weniger taten sie dagegen.
Insofern könnte man mit Sorge auf Al Gore schauen. Der ehemalige amerikanische Präsidentschaftskandidat hat zwar 2007 mit seinem Dokumentarfilm Eine unbequeme Wahrheit - zumindest in den USA - einen Kinohit produziert, für den er sogar einen Oscar bekam. Aber der Film hinterließ bei den Kinobesuchern eher das schale Gefühl des drohenden Weltuntergangs denn die Hoffnung, man könne noch irgendetwas retten. Wenn Al Gore jetzt eine Umweltwerbekampagne für den Klimaschutz ankündigt, in die er in den nächsten drei Jahren 300 Millionen Dollar investieren will, um die amerikanische Öffentlichkeit für den Klimawandel zu sensibilisieren, dann kann man nur hoffen, dass seine Botschaft eine optimistischere ist.
Vielleicht aber liegt die Zurückhaltung der Konsumenten auch daran, dass sie schlau genug sind, Dinge erst in Ruhe zu hinterfragen. Denn auch in Deutschland machen wir die Erfahrung, dass das Wissen um den Klimawandel allein noch nicht zur Verhaltensänderung ausreicht. Ob Verbraucher, Unternehmen oder Politiker aktiv werden, hängt offenbar von anderen Kriterien als dem Kenntnisstand ab. Verhaltenstherapeuten wissen, dass Menschen sich nur dann aufraffen, etwas zu tun, wenn ihnen das Ziel erreichbar scheint. Ist die Lage eher schwierig bis hoffnungslos, ziehen sie sich resigniert zurück. Ein zu 90 Prozent wahrscheinlicher Klimawandel scheint viele Menschen eher zu deprimieren als zu motivieren.

Jetzt anfangen!


Es ist aber wohl weniger der Klimawandel an sich als die große Informationsunübersichtlichkeit, die apathisch macht. Selbst der bemühte Verbraucher verwickelt sich ob der vielen Ziele, die es zu verfolgen gilt - Klimaschutz, fairer Handel, gesundes Leben, soziale Gerechtigkeit -, schnell in Widersprüche. Nicht ohne Häme werden ihm von allen Seiten immer wieder neue Studien unter die Nase gerieben: Ökokarotten aus dem Bioladen? Sind teurer, aber nicht besser. Die konventionellen Möhren enthalten genauso viele Vitamine wie die Ökoware, schmeckten im Blindtest genauso gut und waren aufgrund der höheren Verkaufsfrequenz sogar frischer.
Biobananen aus Uganda? Sind weder gesünder noch klimafreundlich, denn sie werden genauso grün geerntet wie die konventionelle Konkurrenz und im Containerschiff um den halben Globus kutschiert, weswegen die Kohlendioxid-Bilanz unterm Strich gleich ausfällt. Duschen statt baden, das Haus voller Energiesparlampen, Fahrrad statt Auto? Alles Peanuts! Sobald man einmal nach Gomera fliegt, ist die Klimabilanz ruiniert.
Hier muss die Politik schneller für Abhilfe sorgen, indem sie mit klaren Vorgaben und Vorschriften dem Verbraucher dabei hilft, sich klimafreundlich zu verhalten, wenn er es denn will. Tatsächlich reagiert die Politik auf die wachsende Verunsicherung, indem sie Regelungen zur Kennzeichnung der Produkte einführt. Ob Blauer Engel, Grüner Punkt oder EU-Bio-Zertifikat - durch gesetzlich geregelte Zertifizierungen versuchen die Gesetzgeber das Vertrauen der Konsumenten in Produkte wiederherzustellen. Sie brauchen nur so schrecklich lange dafür.
Wenn die Politik zudem ihre Möglichkeiten ausnutzte, durch Steuerpolitik die Preispolitik der Wirtschaft so zu beeinflussen, dass Klimaschutz günstiger wird als die Erderwärmung, gäbe es weitere Anreize für Unternehmen, sich auf klimabewusste Geschäftsmodelle einzulassen. Und die weltweite Einführung eines konsequenten Emissionshandels wäre sicher die effizienteste Form von Klimaschutz.
Nichtsdestotrotz können wir schon heute mit dem Klimaschutz beginnen. Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam aus dem Klimaschutzkarussell aussteigen, in dem wir uns seit Jahren im Kreis drehen, während wir von klimaneutralen Utopien träumen oder immer bedrohlichere Klimaszenarien fantasieren. Jeder von uns, ob als Verbraucher, als Unternehmer, Manager oder als Politiker, kann seinen Beitrag leisten. Es ist eigentlich ganz leicht, etwas zu tun. Klimaschutz beginnt hier und heute! Sie können jetzt damit anfangen, und je eher Sie damit anfangen, desto mehr werden Sie davon profitieren!

Claudia Kemfert ist Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Energieforschung und Klimaschutz an der Humboldt-Universität Berlin und forscht am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW Berlin. Sie berät unter anderem EU-Kommissionspräsident Barroso, die Weltbank und die UNO.

Mit einer Illustration von Limo Lechner.

Claudia Kemfert:
Die andere Klima-Zukunft.
Innovation statt Depression.

Murmann Verlag, Hamburg 2008,
264 Seiten, 19.90 Euro.
ISBN 978-3-86774-047-0
www.murmann-verlag.de

© changeX [11.09.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Die andere Klima-Zukunft. . Innovation statt Depression. . Murmann Verlag, Hamburg 1900, 264 Seiten, ISBN 978-3-86774-047-0

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Autorin

Claudia Kemfert

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