Bisher hieß es nämlich, Psychopathen könnten sich in Unternehmen nicht langfristig halten, weil sie durch ihre Manipulationen schnell auffallen würden. Auch die beiden Psychologen Paul Babiak und Robert D. Hare dachten das: "Man sollte erwarten, dass Merkmale, die auf tyrannisches oder ausbeuterisches Verhalten hindeuten, für die Unternehmensvertreter so offensichtlich sein müssten, dass wichtige Stellen solchen Bewerbern von vornherein versperrt bleiben ... und dass Täuschung und Ausnutzung von Kollegen schließlich zu angemessenen Disziplinarmaßnahmen und zur Kündigung führen müssten." So weit die Theorie. "Nach den Fällen zu urteilen, die wir untersucht haben, sieht die Wirklichkeit jedoch anders aus", schreiben die beiden Psychologen, die einen neuen Zugang zu dieser psychischen Störung suchten und beschlossen, sich nicht mit den Psychopathen in Gefängnissen zu beschäftigen, sondern mit den Psychopathen unter uns. Den Psychopathen in den Unternehmen. Ihre Ergebnisse sind aufschlussreich.
Psychopathen am Arbeitsplatz.
Psychopathen fehlt ein Gewissen,
das ihnen Regelverstöße erschwert. Bei ihnen hat sich diese
innere Instanz nicht in dem Maß ausgeprägt wie bei anderen
Menschen, erläutern Babiak und Hare. Zudem sind Psychopathen
nicht in der Lage, mit anderen Menschen mitzufühlen, Empathie und
Mitleid zu empfinden. Hinzu kommen ein übersteigertes Gefühl der
eigenen Bedeutung, Anspruchsdenken, fehlende Lernfähigkeit,
Oberflächlichkeit, eine mangelnde Selbstkontrolle und
antisoziales Verhalten. Nicht zuletzt entwickeln Psychopathen ein
besonderes Talent, andere Menschen zu manipulieren, sie für
eigene Zwecke auszunutzen - um sie hinterher fallen zu lassen.
Genau dieses Geschick im Umgang mit anderen Menschen
erleichtert es ihnen, Personalverantwortliche im
Einstellungsgespräch hinters Licht zu führen. Ja, ihre
Persönlichkeitseigenschaften können sie sogar als attraktive
Kandidaten erscheinen lassen, dies nicht zuletzt auch deshalb,
weil "psychopathische Verhaltensweisen irrtümlich als
Führungsqualitäten" gedeutet würden, so die Autoren. Nicht
zuletzt bieten gerade schlanke, unbürokratische Strukturen
Psychopathen ein willkommenes Aktionsfeld, so ihre These. Denn
hier ist es besonders einfach, Regeln zu brechen. Genau deshalb
wirken unbürokratische, schlanke, flexible Strukturen mit kurzen
Entscheidungswegen, wie sie viele Unternehmen in Reaktion auf den
verschärften internationalen Wettbewerb eingeführt haben, auf
Psychopathen besonders attraktiv. Denn in diesen Unternehmen
finden sie Raum zur Entfaltung.
Freundlich, einnehmend und witzig.
Wie zum Beispiel in diesem Fall,
den die Autoren vorstellen: "Bei dem Sondierungsgespräch schnitt
Helen sehr gut ab. Ihre Dynamik und ihre angebliche Fähigkeit,
organisatorische Probleme zu lösen - davon hatte die ganze
Abteilung ja wirklich genug -, machten sie zu einer hervorragend
geeigneten Kandidatin. Überdies würden auch externe Analysten die
Besetzung der zweiten Position in einer schwächelnden, aber
wichtigen Abteilung mit einer so selbstsicheren, energiegeladenen
und führungsstarken Frau positiv aufnehmen, nämlich als Zeichen
für große Entschlossenheit, die staatlichen Vorschriften zu
erfüllen. Helen war vom Stil und vom Auftreten her das, was das
Unternehmen und die Analysten sehen wollten. Der Zeitpunkt, die
Umstände und ihre Fähigkeiten schienen wunderbar
zusammenzupassen." Die wichtigsten Worte in diesem Abschnitt sind
"angeblich" und "schienen".
Denn schon bald gab es Irritationen. Es gelang der neuen
Mitarbeiterin, ihren Vorgesetzten in ein schlechtes Licht zu
rücken. Mit dramatischen Auftritten gelang es ihr, die
Unternehmensleitung zu beeindrucken und schließlich ihren Chef
von seinem Posten zu verdrängen. Während sie viele Kollegen
herablassend behandelte, war sie gegenüber Personen, die ihr für
ihre Karriere wichtig erschienen, "freundlich, einnehmend und
witzig". In Meetings mit ihren Managern pflegte sie die
theatralische Geste. Gemeinhin stampfte sie durch das Büro, "ohne
irgendjemand zu grüßen, bellte Befehle, schüchterte die Leute ein
und schubste sie herum". Die geschäftlichen Erfolge, die sie der
Unternehmensleitung vorgaukelte, existierten überhaupt nicht.
Dennoch gelang es ihr, nach außen als erfolgreiche Managerin zu
erscheinen, während sie in Wirklichkeit nach der Maxime "divide
et impera" verfuhr und letztlich ein gespaltenes und zutiefst
verunsichertes Team zurückließ - typisch für Psychopathen.
Durchschaut werden Psychopathen am Arbeitsplatz meist nur von
Mitarbeitern, die sie aus der Distanz beobachten und
Unstimmigkeiten überprüfen können, ohne direktem Druck ausgesetzt
zu sein.
Verteidigungslinie Einstellungsgespräch.
Was können Unternehmen tun, um
Psychopathen außen vor zu halten? Die wichtigste und "erste
Verteidigungslinie" ist das Einstellungsgespräch, sagen Babiak
und Hare. Ihre Empfehlung: Im Gespräch konsequent die vorher
festgelegten Abläufe und Fragen abarbeiten und sich nicht die
Initiative aus der Hand nehmen lassen. Gibt es Unstimmigkeiten im
Lebenslauf oder wirkt der Kandidat zu perfekt, empfiehlt sich
eine genaue Überprüfung der Daten. Das aber werde in
Einstellungsgesprächen oft vernachlässigt.
Einzelne Mitarbeiter sollten sich dagegen zu ihrem Schutz
über Psychopathie informieren (indem sie dieses Buch lesen, zum
Beispiel), eigene Schwachpunkte und Empfindlichkeiten erkennen
und sich klarmachen, welchen Nutzen diese Psychopathen bieten
könnten. Die wichtigste Regel: Auf keinen Fall das Spiel
mitspielen, sondern sich der psychopathischen Person entziehen.
Es sei auch so gut wie aussichtslos, wenn nicht gar gefährlich,
einen Psychopathen therapieren zu wollen, warnen die Autoren.
"Aufgrund ihrer Impulsivität und ihrer Philosophie des 'Lebens im
Augenblick' wiederholen sie solche dysfunktionalen, antisozialen
Verhaltensweisen trotz der Leistungsbeurteilungen und
entsprechender Schulungsprogramme immer wieder."
Überall Psychopathen.
So aufschlussreich dieses Buch ist,
eine gewisse Gefahr liegt darin, dass man plötzlich überall
Psychopathen sieht. Ist die Schablone erst einmal im Kopf,
bekommt man sie so schnell nicht wieder heraus. Diese Gefahr
sehen auch Babiak und Hare. Sie warnen ausdrücklich davor, den
Begriff Psychopath auf Kollegen überhaupt anzuwenden.
Zweifellos aber ist
Menschenschinder oder Manager ein lesenswertes und
nützliches Buch: für Betroffene und solche, die es nicht werden
wollen.
Paul Babiak / Robert D. Hare:
Menschenschinder oder Manager.
Psychopathen bei der Arbeit,
Carl Hanser Verlag, München / Wien 2007,
276 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 978-3-446-40992-7
www.hanser.de
Sigmar von Blanckenburg ist freier Mitarbeiter bei changeX.
© changeX Partnerforum [16.03.2007] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Paul Babiak / Robert D. Hare: Menschenschinder oder Manager. . Psychopathen bei der Arbeit. . Carl Hanser Verlag, München 1900, 276 Seiten, ISBN 978-3-446-40992-7
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