Verschwendung ist geil
Verschwendung. Wirtschaft braucht Überfluss - das neue Buch von Wolf Lotter.
Von Peter Felixberger
brand eins-Redakteur Wolf Lotter hat ein spektakuläres Buch geschrieben. Es ist ein radikaler Abgesang auf den morschen Industriekapitalismus und eine Einladung in eine blühende Konsumgesellschaft, in der Menschen von blöder Erwerbsarbeit befreit und sich in einer überbordenden Vielfaltsökonomie entfalten werden. Selbstbewusst, selbstsicher und als mündige Bürger - losgelöst von jeder Dressur und Zurichtung, wie sie heute noch Alltag sind.
Ausgaben reduzieren, Gürtel enger schnallen, sparen, jammern und mit immer weniger auskommen! Das ist der vertraute Klang der Zeit. In Unternehmen ebenso wie in der Politik. In sozialen Organisationen ebenso wie in Privathaushalten. Die Welt der Knappheit regiert das Leben. Nur nichts vergeuden, lautet die Devise, sonst geht es Land und Leuten noch schlechter als bisher. Der Hamburger Wirtschaftsjournalist und brand eins-Redakteur Wolf Lotter hat sich diese dominierende Verzichtskultur einmal näher zur Brust genommen: "Seit vier Jahrzehnten ist offensichtlich, dass die alte Welt der Industrie und ihre Denkungsart von gestern sind. Aber nach wie vor halten Staat und Institutionen, Parteien und Bürger daran fest, dass einfältige Systeme der Welt der Vielfalt weit überlegen sind."
Die merkwürdige Knappheitsethik, so Lotter, sei wie eine Zwangsjacke, die jede Befreiung unmöglich mache. Das Problem: Diese Denkfigur widerspricht jeder menschlichen Natur und zweimal jeder wirtschaftlichen Realität. Denn der Mensch will aus dem Vollen schöpfen. Und die Wirtschaft braucht ihrerseits den Überfluss, um neue Produkte und Innovationen zu schaffen. Kurz gesagt, um im Geschäft zu bleiben. Beide Seiten leben durch Vielfalt und Verschwendung, und nicht durch Geiz und Sparsamkeit. Und genau deshalb hat Lotter ein wunderbares Plädoyer für den Kapitalismus geschrieben. Gegen den Zeitgeist. Seine Devise: "Verschwendung ist die Grundlage des Konsumismus, der wichtigsten wirtschaftlichen Kraft unserer Zeit."
Im Unterschied zur Vergeudung, wie sie von den alten Institutionen noch so eindrucksvoll gepflegt wird. Beispiel Politik: Hartz IV oder andere Spar- und Reformprogramme. Sie verbrauchen in Wirklichkeit Milliarden, ohne Neues zu schaffen. Die Zahl der Arbeitslosen, Armen und Wohlstandsverlierer bleibt immer mindestens gleich. Die Wahlfreiheit des Einzelnen sinkt. Verschwendung hingegen schafft Neues, neue Möglichkeiten und Chancen. Angebot und Nachfrage steigen. Denn Kapitalismus ist ursprünglich als beiderseitige Gewinnstrategie angelegt. Die Liste der Innovationen, die Lotter anführt, ist lang: PC, Handy, MP3, Internet und viele mehr. Die alten Bedenkenträger lehnten sie übrigens zunächst immer ab.

Der Geizige als Schmarotzer.


Messerscharf seziert Lotter die Logik der alten Industriewelt. Die Kartelle und Monopole, die mit standardisierter Massenproduktion die immergleichen Produkte auf den Markt werfen und den Kunden als blökendes Konsumschaf denunzieren. Oder den dramatischen Niedergang der Industriearbeitsplätze, die seit Mitte der 1990er Jahre jährlich um fünf Prozent abnehmen. "Das entspricht täglich mehr als 900 Arbeitsplätzen." Welche Vergeudung an Wissen und Fähigkeiten!
Kein Wunder, wenn die Konsumrate auf breiter Front sinkt. Wenn Löhne nicht steigen, wenn höhere Steuern die Bankkonten abschmelzen und wenn hohe Preise das Volk in stark und schwach unterteilen. Die Menschen fühlen sich zunehmend eingekreist. Lotter schreibt: "Sie sind nicht mehr großzügig gebende, gute Menschen, sondern gehorsame Staatsbürger, die gezwungenermaßen einer anonymen Instanz unkontrolliert Geld übereignen." Am Ende ist der Geizige, der sich geil findet, das anerkannte Mittelmaß. Im Grunde aber ist er ein "wahrer Schmarotzer", weil er durch fehlenden Konsum dem Geldkreislauf die nötigen Mittel vorenthält.
Und so schreibt sich Lotter in wahre Höchstform. Er bezeichnet Buchhalter und Ingenieure als "Wachhunde des industriekapitalistischen Systems". Und geißelt das planwirtschaftliche Denken in den Chefetagen der Konzerne, das nur profitablen Produkte-Einheitsschrott zulässt. Er warnt vor den Schulfabriken, aus denen angepasstes Mittelmaß gespuckt wird. Er prangert Firmen an, die mit immer weniger Einsatz immer mehr am Markt herausholen. Und er bemitleidet gefügige Bürger, die frühzeitig dressiert und für das System kompatibel gemacht werden. In dieser langen Gardinenpredigt bleibt kein Auge unverletzt.
Höhepunkt ist zweifellos die Kritik fehlender Selbstverantwortung und Selbstbehauptung in weiten Teilen der Bevölkerung. Vor allem bei Führungskräften und Entscheidern. "Die intellektuelle Elite Deutschlands ist wirtschaftsfeindlich bis in die Knochen, und der größte Teil derer, die sich Manager nennen, ist durch und durch antikapitalistisch, führt Betriebe nach Plan und mit staatlicher Unterstützung. Sie träumen auf Golfplätzen von einer besseren Welt, in der Sicherheit des Sozialstaates, des größten Ausbeutungssystems nach Einführung des Manchester-Kapitalismus, des Unterdrückungsregimes der Industrieära. Sie halten Umverteilung für selbstverständlich, aber sie verweigern konsequent jedes Erlernen eigener wirtschaftlicher Fähigkeiten."

Mit Startkapital in Jobs, die man wirklich will.


Und der Ausweg? Für Lotter liegt er im Mehr-Konsum auf Basis einer überbordenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vielfalt. In der Konsumgesellschaft finden wir Sinn, Arbeitsplatz und Wohlstand. "Konsum ist die treibende Kraft der Welt geworden, und Konsum ist nichts anderes als pure, permanente Verschwendung." Doch reine Erwerbsarbeit ist nicht mehr die zentrale Beschaffungsinstanz und exklusiver Prestigespender. Maschinen und Automaten sollen künftig den nötigen Mehrwert und Profit erwirtschaften. "Die moderne Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft kann es sich durch den immer höheren Grad an Automatisierung (und den damit verbundenen höheren Mehrwert) leisten, immer mehr Bürger einfach nur zu Konsumenten werden zu lassen." Die Millionen Arbeitslosen, die der Industrialismus hinterlassen hat, bezeichnet Lotter nicht mehr als Opfer, sondern als Profiteure des neuen Maschinenzeitalters.
Kein Wunder, dass der Autor ein Anhänger von Grundeinkommen und Bürger-Erbschaft (80.000 Dollar als Startkapital für jeden 18-Jährigen) ist. Arbeit wird künftig sowieso nicht mehr den gleichen Wert wie heute haben, soll jedoch nicht abgeschafft, sondern nur neu umverteilt werden. Weg von öden, blöden Routinejobs hin zu qualifizierter menschlicher Arbeit. Hin zu Jobs und Beschäftigung, die man wirklich will.
Fazit: Wolf Lotter hat die große Gardinenpredigt verfasst, für die sie ihn lynchen werden. Die perfiden Salonschreiber in den Medien, die abends in den Schlemmertempeln auf die Solidarität mit den Entrechteten anstoßen. Die alerten Topmanager, die mit dem Verkauf überflüssigen Billigkrempels ihre Gehaltsbonusprogramme steigern. Die grau-beanzugten Controller, die mit zugedrehten Budgets jede Kreativität in Unternehmen ersticken. Die großbräsigen Politiker, die sich als Bürgerdresseure die Daseinsberechtigung nicht wegnehmen lassen wollen. Sie alle werden dafür sorgen, dass von diesem Buch entweder niemand etwas mitkriegt oder der Autor als verwirrter Verschwörungstheoretiker desavouiert wird.
Wir aber rufen dem Lotter zu: Keine Angst vor Haustieren! Dein Schicksal gehört dir. Dein Fels ist deine Sache.

Peter Felixberger ist Geschäftsführer von changeX.

Wolf Lotter:
Verschwendung.
Wirtschaft braucht Überfluss -
die guten Seiten des Verschwendens,

Carl Hanser Verlag, München/Wien 2006,
254 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-446-40035-4
www.hanser.de

© changeX [17.03.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Verschwendung. Wirtschaft braucht Überfluss - die guten Seiten des Verschwendens.. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1900, 254 Seiten, ISBN 3-446-40035-4

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Peter Felixberger

Peter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.

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