Die merkwürdige Knappheitsethik, so Lotter, sei wie eine Zwangsjacke, die jede Befreiung unmöglich mache. Das Problem: Diese Denkfigur widerspricht jeder menschlichen Natur und zweimal jeder wirtschaftlichen Realität. Denn der Mensch will aus dem Vollen schöpfen. Und die Wirtschaft braucht ihrerseits den Überfluss, um neue Produkte und Innovationen zu schaffen. Kurz gesagt, um im Geschäft zu bleiben. Beide Seiten leben durch Vielfalt und Verschwendung, und nicht durch Geiz und Sparsamkeit. Und genau deshalb hat Lotter ein wunderbares Plädoyer für den Kapitalismus geschrieben. Gegen den Zeitgeist. Seine Devise: "Verschwendung ist die Grundlage des Konsumismus, der wichtigsten wirtschaftlichen Kraft unserer Zeit."
Im Unterschied zur Vergeudung, wie sie von den alten Institutionen noch so eindrucksvoll gepflegt wird. Beispiel Politik: Hartz IV oder andere Spar- und Reformprogramme. Sie verbrauchen in Wirklichkeit Milliarden, ohne Neues zu schaffen. Die Zahl der Arbeitslosen, Armen und Wohlstandsverlierer bleibt immer mindestens gleich. Die Wahlfreiheit des Einzelnen sinkt. Verschwendung hingegen schafft Neues, neue Möglichkeiten und Chancen. Angebot und Nachfrage steigen. Denn Kapitalismus ist ursprünglich als beiderseitige Gewinnstrategie angelegt. Die Liste der Innovationen, die Lotter anführt, ist lang: PC, Handy, MP3, Internet und viele mehr. Die alten Bedenkenträger lehnten sie übrigens zunächst immer ab.
Der Geizige als Schmarotzer.
Messerscharf seziert Lotter die
Logik der alten Industriewelt. Die Kartelle und Monopole, die mit
standardisierter Massenproduktion die immergleichen Produkte auf
den Markt werfen und den Kunden als blökendes Konsumschaf
denunzieren. Oder den dramatischen Niedergang der
Industriearbeitsplätze, die seit Mitte der 1990er Jahre jährlich
um fünf Prozent abnehmen. "Das entspricht täglich mehr als 900
Arbeitsplätzen." Welche Vergeudung an Wissen und Fähigkeiten!
Kein Wunder, wenn die Konsumrate auf breiter Front sinkt.
Wenn Löhne nicht steigen, wenn höhere Steuern die Bankkonten
abschmelzen und wenn hohe Preise das Volk in stark und schwach
unterteilen. Die Menschen fühlen sich zunehmend eingekreist.
Lotter schreibt: "Sie sind nicht mehr großzügig gebende, gute
Menschen, sondern gehorsame Staatsbürger, die gezwungenermaßen
einer anonymen Instanz unkontrolliert Geld übereignen." Am Ende
ist der Geizige, der sich geil findet, das anerkannte Mittelmaß.
Im Grunde aber ist er ein "wahrer Schmarotzer", weil er durch
fehlenden Konsum dem Geldkreislauf die nötigen Mittel vorenthält.
Und so schreibt sich Lotter in wahre Höchstform. Er
bezeichnet Buchhalter und Ingenieure als "Wachhunde des
industriekapitalistischen Systems". Und geißelt das
planwirtschaftliche Denken in den Chefetagen der Konzerne, das
nur profitablen Produkte-Einheitsschrott zulässt. Er warnt vor
den Schulfabriken, aus denen angepasstes Mittelmaß gespuckt wird.
Er prangert Firmen an, die mit immer weniger Einsatz immer mehr
am Markt herausholen. Und er bemitleidet gefügige Bürger, die
frühzeitig dressiert und für das System kompatibel gemacht
werden. In dieser langen Gardinenpredigt bleibt kein Auge
unverletzt.
Höhepunkt ist zweifellos die Kritik fehlender
Selbstverantwortung und Selbstbehauptung in weiten Teilen der
Bevölkerung. Vor allem bei Führungskräften und Entscheidern. "Die
intellektuelle Elite Deutschlands ist wirtschaftsfeindlich bis in
die Knochen, und der größte Teil derer, die sich Manager nennen,
ist durch und durch antikapitalistisch, führt Betriebe nach Plan
und mit staatlicher Unterstützung. Sie träumen auf Golfplätzen
von einer besseren Welt, in der Sicherheit des Sozialstaates, des
größten Ausbeutungssystems nach Einführung des
Manchester-Kapitalismus, des Unterdrückungsregimes der
Industrieära. Sie halten Umverteilung für selbstverständlich,
aber sie verweigern konsequent jedes Erlernen eigener
wirtschaftlicher Fähigkeiten."
Mit Startkapital in Jobs, die man wirklich will.
Und der Ausweg? Für Lotter liegt er
im Mehr-Konsum auf Basis einer überbordenden wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Vielfalt. In der Konsumgesellschaft finden wir
Sinn, Arbeitsplatz und Wohlstand. "Konsum ist die treibende Kraft
der Welt geworden, und Konsum ist nichts anderes als pure,
permanente Verschwendung." Doch reine Erwerbsarbeit ist nicht
mehr die zentrale Beschaffungsinstanz und exklusiver
Prestigespender. Maschinen und Automaten sollen künftig den
nötigen Mehrwert und Profit erwirtschaften. "Die moderne Wissens-
und Dienstleistungsgesellschaft kann es sich durch den immer
höheren Grad an Automatisierung (und den damit verbundenen
höheren Mehrwert) leisten, immer mehr Bürger einfach nur zu
Konsumenten werden zu lassen." Die Millionen Arbeitslosen, die
der Industrialismus hinterlassen hat, bezeichnet Lotter nicht
mehr als Opfer, sondern als Profiteure des neuen
Maschinenzeitalters.
Kein Wunder, dass der Autor ein Anhänger von Grundeinkommen
und Bürger-Erbschaft (80.000 Dollar als Startkapital für jeden
18-Jährigen) ist. Arbeit wird künftig sowieso nicht mehr den
gleichen Wert wie heute haben, soll jedoch nicht abgeschafft,
sondern nur neu umverteilt werden. Weg von öden, blöden
Routinejobs hin zu qualifizierter menschlicher Arbeit. Hin zu
Jobs und Beschäftigung, die man wirklich will.
Fazit: Wolf Lotter hat die große Gardinenpredigt verfasst,
für die sie ihn lynchen werden. Die perfiden Salonschreiber in
den Medien, die abends in den Schlemmertempeln auf die
Solidarität mit den Entrechteten anstoßen. Die alerten
Topmanager, die mit dem Verkauf überflüssigen Billigkrempels ihre
Gehaltsbonusprogramme steigern. Die grau-beanzugten Controller,
die mit zugedrehten Budgets jede Kreativität in Unternehmen
ersticken. Die großbräsigen Politiker, die sich als
Bürgerdresseure die Daseinsberechtigung nicht wegnehmen lassen
wollen. Sie alle werden dafür sorgen, dass von diesem Buch
entweder niemand etwas mitkriegt oder der Autor als verwirrter
Verschwörungstheoretiker desavouiert wird.
Wir aber rufen dem Lotter zu: Keine Angst vor Haustieren!
Dein Schicksal gehört dir. Dein Fels ist deine Sache.
Peter Felixberger ist Geschäftsführer von changeX.
Wolf Lotter:
Verschwendung.
Wirtschaft braucht Überfluss -
die guten Seiten des Verschwendens,
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2006,
254 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-446-40035-4
www.hanser.de
© changeX [17.03.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 17.03.2006. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Carl Hanser Verlag
Weitere Artikel dieses Partners
Warum wir es gerne einfach hätten und alles immer so kompliziert ist - das neue Buch von Peter Plöger zur Rezension
Biohacking - das neue Buch von Hanno Charisius, Richard Friebe, Sascha Karberg zur Rezension
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Finanzbuchpreis 2013: Geld denkt nicht von Hanno Beck zur Rezension
Zum Buch
Wolf Lotter: Verschwendung. Wirtschaft braucht Überfluss - die guten Seiten des Verschwendens.. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1900, 254 Seiten, ISBN 3-446-40035-4
Buch bestellen bei
Osiander
genialokal
Amazon
Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.