Geschäftstüchtige Zauberlehrlinge.
Erst einmal analysiert Brown Marketing, Wirtschaft und alles, was dazugehört, in den Büchern selbst. Schnell wird er fündig, denn: "Die Bücher stecken voller brillant ausgedachter Marken und neuer Produktkonzepte." Von den Scherzartikel-Kreationen der äußerst geschäftstüchtigen Weasley-Brüder über den begehrten Feuerblitz-Rennbesen bis hin zu den diversen Zauberzubehör-Gegenständen, die für den Besuch von Hogwarts Pflicht sind. Andererseits zieht Rowling das Thema Marketing aber auch kräftig durch den Kakao - der pomadisierte Lehrer Gilderoy Lockhart ist die Karikatur eines Profi-Selbstdarstellers, Werbung ist im Potter-Universum eine lustig-überzogene Spiegelung echter Vermarktung. In Interviews zeigt Rowling nicht selten eine gewisse Feindseligkeit großen Marken gegenüber, aber sie hat selbst ein so geschicktes Händchen beim Erfinden von fiktiven Werbebroschüren und Markennamen, dass Brown ihr diese Haltung nicht ganz abnimmt.
No tale, no sale.
Brown scheint sich stellenweise
selbst nicht ganz im Klaren darüber, wem der Erfolg dieses Buches
nun zuzuschreiben ist. Manchmal preist er die ideenpralle Story,
die Grundlage des ganzen Hypes, dann wieder behauptet er: "Das
Marketing hat aus Harry Potter das gemacht, was es ist." Fest
steht: Zu Anfang gab es nicht viel Rummel um das Buch. Zwölfmal
wurde es von Verlagen abgelehnt, gestartet ist das Buch mit einer
klassischen Einstiegsauflage von etwa 5.000 Stück. Doch dann
setzten begeisterte Leser eine Lawine von Mundpropaganda in Gang.
Der Verlag horchte auf und begann, etwas für das Buch zu tun.
Eine raffinierte Marketingstrategie setzte ein, die Brown
sehr genau analysiert. Vielleicht war es gut, dass der
Werbefeldzug erst in dieser Phase einsetzte. Denn heftig die
Trommel für etwas zu rühren garantiert keineswegs den Erfolg, so
Brown: "Traurig, aber wahr, dass gerade die am heftigsten und
extravagantesten beworbenen Angebote am Point of Sale häufig
scheitern." Geschickt heizen die Verlage ab Band drei den
Medienrummel um das Erscheinungsdatum an, auch die (immer wieder
angeblich durchbrochene) Geheimhaltung dient diesem Zweck. Durch
Partys, Lesungen et cetera wird der Erscheinungstag zum Event,
die Erwartungen werden schon lange vorher gezielt durch
Informationshäppchen, Hinweisen und Anspielungen angeheizt
("Teasing"). Das ist Verweigerungsmarketing pur. Beginnt der
Verkauf erstmal, wird er mit seinen Superlativen zum Teil der
Geschichte.
Marketingtechnisch optimal wirken auch die Anekdoten, die
sich rund um Rowling und Potter ranken und die längst zum Mythos
geworden sind. Rowlings biografische Geschichte von der armen
alleinerziehenden Mutter, die in Cafés schreiben muss, ist eine
Aschenputtel-Geschichte, wie man sie besser kaum erfinden könnte.
Clever wird die unwiderstehliche Story für die Promotion genutzt.
Aber einen taktischen Fehler hat Brown ausfindig gemacht:
Rowling hätte, so meint er, die Filme nicht loben dürfen. "In der
nächsten Runde sollte sie ermutigt werden, am cineastischen
Produkt herumzunörgeln ... die Leute werden so begierig darauf
sein, mit eigenen Augen zu sehen, was Hollywood JKRs Werken
angetan hat, dass die bisherigen Rekorde wie Gummiringe reißen
werden." Die Zukunft wird es zeigen, ob Brown Recht hat!
Skurrile Phänomene.
Genüsslich wirft Brown mit den
Superlativen um sich. Er hat eifrig Fakten, Daten und Anekdoten
rund um Potter gesammelt; sie bilden einen großen Teil des
Buches. Man erfährt viel Interessantes über die Hintergründe der
Filmdeals und der Lizenzgeschäfte mit Potter-Artikeln (derzeit
sind 400 Produkte auf dem Markt). Anderes, was Brown zu berichten
hat, ist ausgesprochen skurril: Produktfälschungen gibt es
inzwischen nicht nur bei textilen oder elektronischen
Markenartikeln, sondern auch bei Büchern - der chinesischen
Plagiate-Industrie entstammen drei Potter-Fortsetzungen aus
anderer Feder, darunter
Harry Potter and the Golden Turtle. Leider ist der
Lesegenuss arg davon beeinträchtigt, dass die Autoren nur ein
sehr begrenztes Schreibtalent beweisen.
Die Magie der Marke Potter reichte sogar noch aus, um der
Parodie
Barry Trotter eine Auflage von 600.000 Stück zu bescheren,
wovon normale Fantasyautoren mit Originalstoffen nur träumen
können. Darüber hat das Phänomen einen blühenden Kosmos von
Sekundärliteratur hervorgebracht (zu dem natürlich auch Browns
Buch gehört), der sich mit Erfolg bemüht, sich an den Potter-Hype
anzuhängen. Schön, aber wahr: Anscheinend ist der Kuchen groß
genug für alle.
Das Fan-Universum.
Ein faszinierendes Phänomen ist auch die Fan-Front, in der sich die Pottermanie ein stück weit verselbständigt hat. Die Szene ist hervorragend vernetzt und beschäftigt sich nicht nur mit Rowlings Schöpfungen, sondern beansprucht ihre Welt auch für sich. Inzwischen gibt es rund 64.000 von Fans verfasste Potter-Geschichten bis hin zum kompletten Roman. Das ist laut Copyright natürlich vollkommen illegal, aber die Verlage merkten schnell, dass es unmöglich war, etwas dagegen zu unternehmen. Zu groß war die Macht von Fans und Öffentlichkeit; Potter ist ein schönes Beispiel dafür, wie Kunden großen Anteil am Produkt nehmen und ihm ein starkes Gefühl des Mitbesitzes entgegenbringen können. Inzwischen wird - ein geschickter Schachzug - die Fan Fiction von den Verlagen sogar mit Wettbewerben gefördert. Merke: Was man nicht unterdrücken kann, sollte man für sich nutzen lernen! Fans sind nützliche Verbündete, aber nur, wenn man sie gut behandelt. Etwas akademischer kann man das so ausdrücken wie Brown: "Wir haben es weniger mit einer großen Markengeschichte zu tun als vielmehr mit einer großen Geschichtenmarke. Sie erzeugt eine Vielfalt von Geschichten, die agieren und interagieren und einander verstärken und gelegentlich auch widersprechen."
Geht es abwärts mit Potter?
Größtenteils erweist Brown Harry
Potter seinen Respekt, kaum ein Fan wird bei der Lektüre Schaum
vor dem Mund bekommen. Aber er berichtet auch von Kritikern und
analysiert auch die ersten Anzeichen, dass der Hype seinen
Höhepunkt hinter sich haben könnte. "Nichts entzaubert den Appeal
einer Marke so sehr wie Allgegenwart", bemerkt Brown. Auf manche
Fans wirkten die Ankündigungen, dass eine wichtige Figur sterben
werde, bereits wie das verzweifelte Bemühen, das Interesse zu
steigern: "Sensationalistische Taktiken sind ein Hilferuf."
Doch unabhängig davon, ob nun zehn oder 30 Millionen
Menschen das Buch kaufen - man bekommt bei der Lektüre von Browns
Buch große Lust, mal wieder in den Potter-Bänden herumzuschmökern
und sich das neuste Abenteuer zuzulegen. Wenn das nicht ein
schönes Beispiel von Synergie ist.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
Stephen Brown:
Die Botschaft des Zauberlehrlings.
Die Magie der Marke Harry Potter,
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2005,
224 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-446-40310-8
www.hanser.de
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Zum Buch
Stephen Brown: Die Botschaft des Zauberlehrlings. . Die Magie der Marke Harry Potter. . Carl Hanser Verlag, München/Wien 1900, 224 Seiten, ISBN 3-446-40310-8
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