Durch das eingeschaltete Handy, Zahlungen mit EC- oder Kreditkarte und Kameraüberwachung auf den Straßen kombiniert mit automatischer Gesichtserkennung verraten wir unseren Aufenthaltsort, durch Kundenkarten unsere Lebens- und Essgewohnheiten, durch jeden Mausklick hinterlassen wir einen digitalen Fingerabdruck und Hinweise auf unsere Interessen und Aktivitäten. Kommen wie geplant auch noch SmartCash im Nahverkehr, biometrische Merkmale im Pass und RFID-Etiketten in der Kleidung und auf allen möglichen anderen Gegenständen hinzu, dann ist der Alltag endgültig gläsern, die letzten Spuren der Anonymität verschwinden.
"Das Ausmaß der Kontrollen und der Verletzung der Persönlichkeitsrechte steht in keinem ausgewogenen Verhältnis zum potenziellen Nutzen mehr", kritisiert Ström. Er sieht die ungebremste Datensammelwut mit Besorgnis: "Je mehr und je größere elektronische Archive wir schaffen, desto größer ist auch das Risiko für unerwartete negative Folgen."
Leben im Glashaus.
Ström hat eine Vielzahl von Beispielen aus allen Lebensbereichen und Ländern gesammelt, die erschreckend dokumentieren, wie sehr wir schon im Glashaus leben, und was das bedeuten kann. Das fängt bei der Wirtschaftsspionage über das System Echelon an und hört bei neuer Lügendetektor-Software, die bei Telefongesprächen mithört und Aussagen bewertet, noch lange nicht auf. Viele von Ströms Beispielen sind bereits bekannt, sie stammen aus der internationalen Presse - doch erst dadurch, dass Ström sie zusammenführt, analysiert und durch fiktive "Was-wäre-wenn"-Fälle ergänzt, werden das gruselige Gesamtbild und der allgemeine Trend deutlich.
- In Großbritannien, wo inzwischen ganze Stadtviertel flächendeckend kameraüberwacht werden, passierte es einem Mann, dass sein Selbstmordversuch aufgezeichnet wurde. Der Betreiber verkaufte die Bilder ans Fernsehen, wo sie in einer Boulevardsendung verwertet wurden - der Mann, inzwischen wieder genesen, erlitt einen Schock.
- In den USA werden Kundenkarten-Daten aus Supermärkten zu "Essprofilen" zusammengeführt, um Terroristen auf die Spur zu kommen. Und die "schwarzen Listen" von Flugpassagieren, die auf der automatischen Einstufung der Software Secure Flight beruhen, machen so manchem das Leben zur Hölle. Das Problem: Wer vom Programm als Sicherheitsrisiko abgestempelt ist, hat kaum eine Möglichkeit, den Grund zu erfahren oder sich wieder von der Liste entfernen zu lassen. Er muss seine Unschuld beweisen statt umgekehrt - die Prinzipien des Rechtsstaats werden ad absurdum geführt.
- Eine amerikanische Autovermietung hat die Black Box plus GPS in ihren Wagen schon dazu genutzt, die Geschwindigkeit des Fahrzeugs zu überwachen und dem Kunden bei Überschreitungen automatisch Bußgelder von mehreren hundert Dollar aufzubrummen - die die Vermietung selbst kassierte. Der Hinweis auf dieses System war geschickt im Kleingedruckten des Vertrags versteckt. Ein schönes Beispiel dafür, wie das Leben in einer Überwachungsgesellschaft mit "allgegenwärtigem Gesetzesvollzug" aussehen könnte. Black Boxes sind übrigens in neuen europäischen Automodellen schon Standardausstattung; oft ist das dem Käufer nicht bewusst. In Irland wird zurzeit ein System eingeführt, bei dem die Black Box automatisch die Fahrdaten der letzten 20 Sekunden vor einem Unfall des betreffenden Wagens via Mobilfunknetz an die Polizei und die Versicherungsgesellschaft des Fahrers funkt.
Manche dieser Fälle wären in Deutschland nicht möglich; doch auch hier weicht das Datenschutzgesetz zunehmen auf, die Datensammler werden dreister.
Der Computer als Spion.
Besonders viele Datenspuren
hinterlässt natürlich, wer den Computer benutzt. "Was der Surfer
während eines Internetbesuchs ansteuert und eingibt, wird häufig
in Protokolldateien und Datenbanken langfristig gespeichert",
gibt Ström zu bedenken. Inzwischen gibt es Methoden, diese Daten
mit der Identität des Surfers zu verknüpfen. Selbst die treue
Suchmaschine Google hat ihre Nachteile: Digitale Informationen
über Personen bleiben buchstäblich "kleben" und stehen zum Teil
jahrzehntelang im Netz, so dass Jugendsünden einen unter
Umständen noch lange verfolgen. Und in Frankreich gab es den
Fall, dass jemand, der sich an der Chefin eines Unternehmens
rächen wollte, unter ihrem Namen rechtsradikale Hetze in eine
Newsgroup gestellt hatte. Sie sah sich gezwungen, sich bei Kunden
und Geschäftspartnern für den Eintrag zu rechtfertigen, und
schaffte es nur unter größten Schwierigkeiten, ihn entfernen zu
lassen.
Noch mehr Pech hat, wer sich einen "Web Bug" einfängt
(winzige Bilder, nur ein Pixel groß, die sich auf Websites, in
Mails oder Dokumenten verbergen): Die Wanze folgt dem Surfer von
Website zu Website und erstellt dabei ein umfangreiches
Verhaltensprofil. Hinzu kommt schnüffelnde Software: Der Windows
Media Player zum Beispiel neigt dazu, über das Netz automatisch
Kontakt zu Microsoft aufzunehmen und Informationen über die
gerade gespielte Musik oder DVD zu senden.
Noch schlechter ist, wenn ein übelwollender Zeitgenosse
einem eine Spyware oder einen Trojaner auf den Computer
geschmuggelt hat, die jeden Tastenanschlag protokollieren und
petzen. Hat der PC Webcam und Mikro, dann kann der Übeltäter den
Nutzer sogar mit Bild und Ton überwachen. Wer mit dem Staat auf
gutem Fuß steht und keine Feinde hat, den lässt dieses Szenario
vielleicht kalt. Aber ein hasserfüllter Ex-Partner mit
Technik-Know-how kann das Leben schnell zum Alptraum werden
lassen. Ebenso ein Hacker, der die Kreditkartennummer abgreift
und den Namen seines Opfers für illegale Aktivitäten
weiterverwendet.
Auch für Mitarbeiter in Unternehmen ist der Spitzel-Trend
kein Segen: Inzwischen gibt es sogar Software, die illoyales
Verhalten ermittelt. Sie protokolliert nicht nur die besuchten
Websites, sondern auch die Anzahl der Tastenanschläge pro Tag und
die Arbeitspausen - manche Programme sammeln auf Wunsch externe
Angaben über das Privatleben der Mitarbeiter hinzu.
Keine Panikmache.
Trotz der düsteren Visionen, die
Ström ausmalt, ist er kein Panikmacher, Technikfeind oder Fan von
verqueren Verschwörungstheorien. Sein Ton bleibt immer fair und
ausgewogen, seine Argumente bleiben klar und nachvollziehbar.
Auch sein Umgang mit Informationen ist erfreulich. Statt - wie so
manche halbseidenen Autoren - eine eindeutige Wahrheit zu
verkünden, weist er immer wieder auf Unsicherheitsfaktoren oder
Quellen hin, die er nicht nachprüfen konnte. Wenn er an einer
Stelle auf Spekulationen angewiesen ist, betont er auch das.
Wer ist denn nun die titelgebende "Überwachungs-Mafia"? Die
gute Nachricht: Eigentlich gibt es eine solche Mafia nicht. Es
sind ganz gewöhnliche Unternehmen und Regierungen, die der
Datensammelwut frönen. Dahinter steckt oft keine böse Absicht -
aber die Folgen für die Bürger sind trotzdem potenziell oder de
facto unerfreulich.
Nüchtern diskutiert Ström Vor- und Nachteile des
Überwachungstrends. Die Hauptrisiken sind, dass wir immer stärker
fremdbestimmt werden und unnormales Verhalten ausgegrenzt wird
(oft werden die gesammelten Daten und Bewegungsprofile
automatisch auf ungewöhnliches Verhalten gescreent, verhält sich
jemand "abweichend", schlägt das System Alarm). Zudem ist die
Rechtssicherheit bedroht, wenn man von einer Software
"abgestempelt" werden kann und seine Unschuld mühsam beweisen
muss.
Bei den Vorteilen schlagen Sicherheit, finanzielle Gründe
und imaginäre "Gerechtigkeit" zu Buche - neben schlichter
Bequemlichkeit sind das die Faktoren, die die Datensammelei
vorantreiben. Doch kann man mit dem Thema Sicherheit wirklich
alles rechtfertigen? Das immer wiederkehrende Argument der
Datensammler ist, dass Menschen, die nichts zu verbergen hätten,
sich ja keine Sorgen zu machen bräuchten. Aber was ist, wenn die
Regierung selbst den Pfad der Demokratie verlässt? Allein im 20.
Jahrhundert in Deutschland gibt es genug Beispiele dafür, dass
der Staat nicht immer Recht hatte und man die Möglichkeit, ihm
Widerstand zu leisten, nicht leichtfertig opfern sollte.
Ist der Trend noch zu stoppen?
Ström betätigt sich nicht
ausschließlich als Schwarzseher. Immer wieder macht er Hoffnung,
dass der Überwachungstrend noch umzukehren ist, dass sich die
Entwicklung noch beeinflussen lässt. Ein großer Teil des Buches
widmet sich seinen Vorschlägen dazu und seiner Argumentation für
die Rettung der Privatsphäre: "Das Bedürfnis nach Anonymität ist
nichts Verdächtiges, sondern im Gegenteil ein natürlicher
Zustand, der Sicherheit verleiht." Er fordert einen klaren
Verhaltenskodex für die Informationstechnologie und schlägt
gleich einen vor - zehn simple, aber sehr einleuchtende Punkte.
Beispiel: Ist das System vor Missbrauch geschützt? Ist es
möglich, Auskunft über die gespeicherten Daten zu bekommen und
falsche Infos korrigieren zu lassen?
Zum Glück gibt es laut Ström auch einige Faktoren, die
diese Entwicklung zur Spitzel-Gesellschaft bremsen. Automatische
Gesichtserkennung funktioniert längst nicht so gut wie geplant.
Biometrische Methoden wie der Abgleich von Fingerabdrücken oder
die Iriserkennung werden der Öffentlichkeit zwar als "absolut
sicher" verkauft, lassen sich aber leicht austricksen (zum
Beispiel mit einem Gelatine-Abguss des Fingers).
Als Trost zum Abschluss gibt's für den Leser noch ein paar
Tipps, wie man sich vor Schnüfflern schützt. Leider: Die Lösungen
sind fast alle technisch, und man braucht Wissen, Zeit und
Energie, um sie einzusetzen. Bleibt also zu hoffen, dass Ströms
Buch Bürger und Regierungen wachrüttelt und sein Kodex das
angestaubte Datenschutzgesetz sinnvoll ergänzt.
Pär Ström:
Die Überwachungs-Mafia.
Das gute Geschäft mit unseren Daten.
Hanser Verlag, München 2004,
340 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-446-22980-9
www.hanser.de
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [07.03.2005] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Pär Ström: Die Überwachungs-Mafia. . Das gute Geschäft mit unseren Daten. . Carl Hanser Verlag, München 1900, 340 Seiten, ISBN 3-446-22980-9
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