Wissen: Letzter Stand
Wissensmanagement. Strategien, Methoden, Fallbeispiele - eine digitale Fachbibliothek von Matthias Bellmann, Helmut A. O. Krcmar und Tom Sommerlatte.
Wissensmanagement wird in vielen Unternehmen auf der technischen Ebene betrachtet. Als Software unter vielen! Sie ist aber Teil eines tief greifenden Wandels der Unternehmenskultur. Wissen teilen, anderen vertrauen und mit ihnen kooperieren ist die unabdingbare Voraussetzung, um das Wissen in einer Organisation in vollem Umfang zu erschließen. Doch die industriegesellschaftlichen Bollwerke stemmen sich dagegen. Misstrauen verhindert das Fließen von Wissen. Eine CD-ROM versucht eine allgemeine Bestandsaufnahme, tappt aber selbst in diese Falle.
Seither ist das Interesse an dem Thema weiter gewachsen, schließlich pfeifen es bereits die Spatzen von den Dächern, dass wir in einer Transformation zur Wissensgesellschaft stecken. An Bullingers Zahlen dürfte sich indes nur wenig geändert haben; ebenso wenig an seiner Analyse, dass in den Unternehmen Wissensmanagement in erster Linie als eine Frage der Softwarelösung begriffen und zudem ohne ausreichende Unterstützung der obersten Führungsebene betrieben werde.
Powerpaket zum Thema Wissensmanagement.
Umso verdienstvoller ist es, dass
der Symposion Verlag sich dem Thema mit einer inhaltsreichen
"Digitalen Fachbibliothek" angenommen hat. Die CD-ROM bietet 51
Textbeiträge, 80 PowerPoint-Präsentationen und verschiedene
Arbeitshilfen auf Excel-Basis. Zusammengenommen sind das mehr als
800 Seiten Information - ein Powerpaket, das die Unternehmen bei
der Einführung und Umsetzung von Wissensmanagement unterstützen
soll.
Überdies bietet die Publikation eine Online-Anbindung an
das Internet-Portal des Verlages, wo Ergänzungen und
Aktualisierungen zum Download bereitgestellt werden.
Herausgegeben wird das Werk von Matthias Bellmann (Siemens
Information and Communication Networks), Helmut Krcmar (Lehrstuhl
für Wirtschaftsinformatik der TU München) und Tom Sommerlatte
(Vice President Arthur D. Little), die schon vor zwei Jahren das
ebenfalls bei Symposion erschienene "Praxishandbuch
Wissensmanagement" herausgegeben haben.
Neben einigen grundlegenden Beiträgen zum Thema bietet die
Publikation in erster Linie Orientierung für die praktische
Umsetzung von Wissensmanagement in den Unternehmen. Es gliedert
sich in sieben "Themenfelder". Diese beschäftigen sich mit Fragen
des Wissensmanagements, behandeln die Consulting-Konzepte der
führenden Wirtschaftsberatungsunternehmen, die Werkzeuge und
Methoden für die unterschiedlichen Unternehmensbereiche, die
Informationssysteme sowie die Messung und Bewertung der
Ergebnisse von Wissensmanagement.
Breiten Raum nehmen schließlich Praxiserfahrungen ein. 16
Fallstudien beleuchten die Einführung von
Wissensmanagementsystemen und deren Bedeutung für die
Unternehmen. Das sind wertvolle und sicher auch hilfreiche
Informationen - doch leider wird die Nutzung des mächtigen
Informationspakets durch eine sehr rudimentäre Benutzerführung
erschwert.
Rudimentäre Benutzerführung.
Zwar gibt es eine Suchfunktion, die
eine Volltextrecherche über alle Beiträge hinweg bietet, davon
abgesehen wurden leider die Möglichkeiten einer digitalen
Publikation nur ansatzweise genutzt. Das betrifft vor allem die
Navigation zwischen verschiedenen Beiträgen, das Surfen auf der
CD-ROM gewissermaßen. Da fühlt sich der Leser wie ein
Surfanfänger, der alle naslang ins Wasser fällt und sich erst
mühsam wieder sein auf Surfbrett winden muss. Zu weit hergeholt
ist dieser Vergleich nicht, denn jedes PDF-Dokument, das man
anklickt, erweist sich als eine Sackgasse, denn einen Link zurück
zur nächsthöheren Ebene, dem Inhaltsverzeichnis zum Beispiel,
gibt es nicht, geschweige denn eine Verlinkung zu
themenverwandten Artikeln.
Von einem Wissensmanagement-Produkt hätte man sich eine
vernetztere Struktur erwartet, zumindest aber eine klare
Benutzerführung auch auf der Ebene des einzelnen Dokuments. So
ist die CD-ROM nur eine Sammlung von Einzeldateien mit zwei, drei
darüber gestülpten Verzeichnissen und bietet dem Leser einen
geringeren Nutzen als ein Buch. Denn darin kann man wenigstens
zurückblättern. Dass CD-ROMs nur als Datei-Parkplatz genutzt
werden, scheint aber ein Problem vieler digitaler Publikationen
zu sein, nicht nur ein Handicap der vorliegenden.
Aber es ist nicht die einzige Schwäche. Auch die abgelegten
PowerPoint-Präsentationen - mehr als 80 an der Zahl - erweisen
sich als schwer handhabbar. Das PowerPoint-Fenster, das sich beim
Anklicken öffnet, bietet nur die Möglichkeit, die Präsentation am
Bildschirm anzuschauen. Ausdrucken, kopieren oder gar bearbeiten
kann man die Folien oder einzelnen Inhalte nicht. Warum
publiziert der Verlag nicht die originalen PowerPoint-Dateien,
die der Nutzer dann für eigene Präsentationen verwenden könnte?
Doch solches Teilen und Weitergeben von Wissen scheint nicht
erwünscht zu sein. Damit sind wir beim Thema.
"Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß."
Je wichtiger Wissen in den
Produktionsprozessen wird, desto bedeutender wird die optimale
Organisation der Wissensbestände für die Wertschöpfung eines
Unternehmens. "Wissensmanagement eröffnet Unternehmen
faszinierende neue Chancen, ihre betriebswirtschaftlichen
Ergebnisse zu verbessern, also
Wert zu schaffen", unterstreicht Matthias Bellmann in
seinem Vorwort die Bedeutung des Sujets. Es herrsche
"Goldgräberstimmung im Umgang mit Wissen", sekundiert
Koherausgeber Tom Sommerlatte.
In dieser Situation will die Publikation Orientierung
verschaffen, und das gelingt auch. Vor allem die Beiträge, die
seltsamerweise unter der Überschrift "Übersicht" zusammengefasst
sind, bieten eine fundierte Einführung in die Wissensökonomie.
Charles Goldfinger beschreibt in seinem Beitrag die "Logik der
Entmaterialisierung", die im Begriff ist, die Wirtschaft von
Grund auf umzukrempeln. Widersprüchliche Kräfte seien am Werk,
Unternehmensstrategien müssten "zwangsläufig komplexer und
offener sein", schreibt der Autor und liefert damit gewissermaßen
die Steilvorlage für Tom Sommerlatte, der sich mit der Bedeutung
von Wissensmanagement für die strategische Führung beschäftigt.
Auch hier gewinnt der "schnelle Zugriff auf eine gezielt ...
entwickelte Wissensbasis" rasant an Bedeutung. Denn die
Unternehmen müssten sich auf "mehrere Zukünfte" vorbereiten,
lineare Planung ist eine Schimäre von gestern.
Gerade dieser Exkurs in die strategische Planung zeigt,
dass Wissen mehr meint als nur die Mobilisierung von
Produktinnovationen. Wissen ist der Kitt, der alles zusammenhält.
"Glücklicherweise steckt dieses Wissen weitestgehend schon im
Unternehmen", meint Sommerlatte, "es muss nur zugänglich gemacht
werden." Wissensmanagement will dieses verborgene Wissen
erschließen. Ziel ist es, wenn man so will, "den Übergang von der
individuellen zur kollektiven Intelligenz zu vollziehen". Genau
das meint das Bonmot: "Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß
..."
Vom individuellen zum kollektiven Gedächtnis.
Die Frage ist nur: Wie schafft man
dieses kollektive Gedächtnis, von dem die
Wissensmanagement-Propheten träumen? Und weil es für beinahe alle
Fragen eine Softwarelösung gibt, gilt in den Unternehmen ein
technisch-instrumenteller Ansatz für das Management des Wissens
oftmals als der Weisheit letzter Schluss. "Wissensmanagement ist
Software - diese Vorstellung ist weit verbreitet, und trotzdem
falsch", schreiben Tilo Böhmann und Mitherausgeber Helmut Krcmar
in ihrem Beitrag "Wissensmanagement und Informationssysteme", der
zugleich einen Überblick über die versammelten Fachbeiträge über
Werkzeuge für das Wissensmanagement bietet. Weil diese Werkzeuge
Wissensmanagement oft erst möglich machen, werde ihre Bedeutung
überschätzt, meinen die Autoren.
Die technische Infrastruktur, mittels derer Wissen
kommuniziert, weitergegeben, gespeichert, organisiert und
erarbeitet werden kann, ist nur eine Bedingung für erfolgreiches
Wissensmanagement. Die zweite ist ein Wandel der
Unternehmenskultur. "Ohne eine Atmosphäre des Vertrauens, des
Teilens und der Kooperation kann auch durch noch so ausgeklügelte
Wissensmanagement-Techniken keine Organisation entstehen, die
sich ihr Wissen in vollem Umfang erschließen kann", schreibt der
kanadische Physikprofessor Robert K. Logan und benennt damit
zugleich den wirklichen Grund, weswegen es - nach Einschätzung
mehrerer Autoren - in vielen Unternehmen mit dem
Wissensmanagement nicht so richtig vorangehen will.
"Wissensmanagement ist wichtig - solange nichts Wichtiges
dazwischenkommt." Dieses Bonmot, das Gregor Krey zitiert, gilt
nicht nur für den Mittelstand, auf den es gemünzt ist. Sicher
gibt es vielfach andere Prioritäten. Entscheidend ist aber, dass
Wissensmanagement einen kulturellen Wandel erfordert, gegen den
sich die industriegesellschaftlichen Bollwerke immer noch mit
Erfolg stemmen. Kultureller Beton ist offenbar nicht weniger hart
als der aus Zement, Wasser und Sand gemischte.
"Unsere Organisationen leben mit 'strukturiertem
Misstrauen'", formuliert der Berater und Buchautor Charles M.
Savage seine bittere Erkenntnis: "Es gibt zumeist mehr Misstrauen
als Vertrauen. Und wir kennen die Schwächen des anderen besser
als seine Stärken." Klar, dass in einer solchen Misstrauenskultur
sozialisierte Menschen nicht von heute auf morgen auf Kooperation
umprogrammiert werden können - wie vielleicht die Software in den
Computernetzwerken. Denn Wissen bedeutet immer noch Macht.
Savage identifiziert zwei mentale Modelle, die dringend
überarbeitet werden müssten: Das ist einmal die
Knappheitswirtschaft, die zwar bei materiellen Dingen Sinn macht,
nicht aber bei geistigen Produkten. Und zweitens die
industriegesellschaftliche "Kultur des Misstrauens und
Abwertens". Das ist wunderbar klar herausgearbeitet -
offensichtlich aber nicht vollständig.
Denn nur wenige Seiten weiter verfängt sich Savage selbst
in dem Fallstrick, den er eben so klar bloßgelegt hat. Dort führt
er eine Kennzahl ein, der den Grad des Misstrauens in einem
Unternehmen messen soll, durchaus auch subjektiv: Er bestimme
sich an der "Fähigkeit, auf der Kompetenz anderer aufzubauen",
dividiert durch den "Wissensumschlag". Leider hat Savage ein
besonders hartnäckiges industriegesellschaftliches Denkmuster
übersehen: alles messen und kontrollieren zu wollen - und
unterminiert so die Vertrauenskultur, die er doch schaffen
wollte. Vertrauen entsteht anders.
Kultureller Wandel ist gefragt.
Fazit: Die Publikation spiegelt in verschiedener Hinsicht die Probleme bei der Umsetzung von Wissensmanagement-Konzepten. Das zentrale Problem - nämlich den Wandel zu einer Kultur, die auf Vertrauen und Kooperation basiert und zum Austausch von Wissen und zu gegenseitiger Hilfe anregt - wird zwar benannt. Ideen und Anregungen, wie sich eine solche Kultur in den Unternehmen schaffen lässt, bieten die Autoren indes nicht. Eher den Rückfall in eine Kultur des Messens und Kontrollierens. Für Unternehmen, die konkret an der Einführung eines Wissensmanagement-Systems arbeiten, bietet die CD-ROM eine Fülle hilfreicher Informationen und Anregungen. Die Krux bleibt aber, dass Wissensmanagement auf dieser Ebene kleben bleibt. Der kulturelle Wandel bleibt auf der Strecke.
Matthias Bellmann / Helmut A. O. Krcmar / Tom Sommerlatte:
Wissensmanagement. Strategien, Methoden, Fallbeispiele.
Digitale Fachbibliothek auf CD-ROM,
Symposion Publishing, Düsseldorf 2004,
über 800 Seiten mit zahlreichen Abbildungen,
Präsentationen und Arbeitshilfen, 196 Euro,
ISBN 3-936608-54-7
www.symposion.de/wissen
Die Kapitel des Werks kann man auch
einzeln online als PDF-Dokument erwerben:
www.symposion.de
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
© changeX [11.02.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Matthias Bellmann / Helmut A. O. Krcmar / Tom Sommerlatte: CD-Rom. ?. , 1900, ISBN 3-936608-54-7
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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