Jobmaschine Dienstleistung?
Die Zukunft von Dienstleistungen, das neue Buch von Peter Hennicke et al.
Der neue Sammelband sollte Pflichtlektüre für Politiker werden. Denn er räumt mit vielen Vorurteilen auf und zeigt stattdessen die Bereiche auf, in denen wirklich Handlungsbedarf besteht. Mit der passenden Rahmengesetzgebung könnten besonders ökoeffiziente Dienstleistungen so richtig abheben. Und auch die Alterung der Gesellschaft ist eine Chance für die Wirtschaft - wenn sie sie zu nutzen versteht.
Prekär? Fehlanzeige.
Die Antwort auf diese Fragen hat
viele Facetten, in 21 Beiträgen loten die namhaften Autoren sie
aus. Und erschüttern dabei so manche Stereotype. Neue Studien
entlarven es zum Beispiel als Mythos, dass Jobs in der
Dienstleistung instabiler und schlechter abgesichert sind als in
der Industrie. Die hohe Zahl "atypischer
Beschäftigungsverhältnisse" in den bisherigen Statistiken kommt
dadurch zustande, dass Frauen, die Kinder betreuen, Schüler und
Studenten überdurchschnittlich oft in die Dienstleistung gehen.
"Dienstleistung ist nicht per se prekärer als
Industrietätigkeiten. In einigen Ländern ist in den letzten
Jahren trotz steigender Dienstleistungsanteile der Anteil von
prekären Arbeitsverhältnissen zurückgegangen", stellen die
Autoren fest. "Der Dienstleistungssektor ist zwar sehr dynamisch,
aber im Gegensatz zu den üblichen Annahmen finden Ausgliederungs-
und Ausgrenzungsprozesse vor allem in der Industrie und bei
alten' Dienstleistungen wie Finanzen und öffentlichen
Körperschaften statt."
Immer wieder geistert die Idee von einer Subventionierung
des Niedriglohnsektors durch die Politik. Aber ist sie überhaupt
erfolgversprechend? Nein, sagt Forscherin Claudia Weinkopf klipp
und klar. Subventionen reichen nach ihren Untersuchungen nicht
aus, damit Leute eine solche Arbeit annehmen. Noch führen sie
dazu, dass Unternehmen im größeren Umfang Arbeitsplätze für
Geringqualifizierte anbieten.
Chancen - aber kein Jobwunder.
Sind die Hoffnungen, die in die
Dienstleistung gesteckt werden, vollends Träume und Schäume?
Keineswegs, so die Autoren. Ökoeffiziente Dienstleistungen können
für wichtige gesellschaftliche Probleme wie Müllentsorgung oder
Energieversorgung Teillösungen anbieten. Gerade die Alterung der
Gesellschaft biete große wirtschaftliche Chancen, so Josef
Hiebert und Gerhard Naegele. Aber diese Chancen lassen sich nur
nutzen, wenn die Wirtschaft sich mit Produkten und
Dienstleistungen auf die sich wandelnden Bedürfnisse in der
Bevölkerung einstellt und die Kaufkraft älterer Menschen
aktiviert. Zur Zeit ist eine solche Erkenntnis bei den
Unternehmen noch nicht in Sicht. Dabei würden "ortsnahe
personenbezogene Dienste" auch mehr Nachhaltigkeit bedeuten, die
Wirtschaft in der Region stärken.
Eine interessante Erkenntnis aus dem Vergleich der
europäischen Volkswirtschaften ist, dass die Expansion der
Dienstleistungen eben nicht wie gedacht ein automatischer
Nebeneffekt des Wirtschaftswachstums ist. Triebkräfte sind, wie
Gerhard Bosch und Alexandra Wagner herausgefunden haben, eher die
Erhöhung des Einkommens, die Integration der Frauen in den
Arbeitsmarkt, der Ausbau des Sozialstaats und ein besseres
Angebot an gesellschaftlich wichtigen Diensten durch
Professionalität und Innovation. Die Hoffnungen, dass die
Dienstleistungsbranche Deutschland ein Jobwunder bescheren
könnte, so wie es einst in Amerika gefeiert wurde, könnten sich
jedoch als trügerisch erweisen: "Der Übergang vom europäischen
zum US-amerikanischen Modell ist wegen der deutlichen
Länderunterschiede kurz- und mittelfristig nicht möglich, wegen
des Verlusts an Lebensqualität aber auch nicht wünschenswert."
Fazit: Mehr Dienstleistung ist kein probates Mittel der
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Viel
wirkungsvoller wäre, so zeigt sich im Vergleich der Szenarien,
eine Kombination aus Ökoeffizienz und Umverteilung der Arbeit
durch Flexibilisierung der Arbeitszeit. Es lebe die
Teilzeit!
Vermeidung ist Trumpf.
Aber welche Rolle spielen denn nun ökoeffiziente Dienstleistungen? Potenziell eine große. Wenn es gelingt, die Anreizstruktur umzukehren. Ist das neue Ziel das Vermeiden von Umweltverbrauch, könnte eine neue Industrie florieren, sagen die Autoren vorher: "Dies bedeutet, Anreizstrukturen zu schaffen, die die Abfall-, Material-, Verkehrs- und Energievermeidung so profitabel machen, dass private Akteure auch unter verschärften Wettbewerbsbedingungen und bei langfristiger Renditeorientierung hieraus innovative Geschäftsfelder entwickeln ..." Doch damit es so weit kommt, müssen diese Dienstleister neuen Typs konsequent durch eine passende Rahmengesetzgebung gefördert werden. Ob das wohl gelingt? Da war doch mal so etwas wie eine Ökosteuer ...
Gerhard Bosch / Peter Hennicke /
Josef Hilbert / Kora Kristof /Gerhard Scherhorn (Hg.):
Die Zukunft von Dienstleistungen.
Ihre Auswirkungen auf Arbeit, Umwelt und
Lebensqualität,
Campus Verlag,
Frankfurt/New York 2003,
537 Seiten, 39,90 Euro,
ISBN 3-593-37160-X
www.campus.de
www.wupperinst.org
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
© changeX Partnerforum [18.06.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Bosch, Gerhard/Hennicke, Peter/Hilbert, Josef/Kristof, Kora/Scherhorn, Gerhard (Hg.): Die Zukunft von Dienstleistungen. Ihre Auswirkungen auf Arbeit, Umwelt und Lebensqualität. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2003, 537 Seiten, ISBN 3-593-37160-X
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